Sieg des Herzens
ihren Kopf an seiner Brust und blickte auf zum klaren Abendhimmel, an dem der Mond schon die Riesenherde seiner Sterne hütete.
»Woher will der arme, kleine Mensch wissen, was Glück ist, wenn er es bisher nur durch den Geist erhaschen wollte?«
War es ein Gebet, das er da anstimmte?
Das Mädchen zitterte an seiner Brust. Ihm kam es vor wie ein Schluchzen, ein Weinen aus der Tiefe ihres glücklichen Herzens.
»Was weiß die Seele vom Hochgefühl des Herzens, wenn bisher nur die graue, leblose Theorie ihr Licht überschattete? Was weiß der Mensch vom Jubel des Herzens?«
Ganz fest drückte er sie an sich, so fest, als wollte er den zarten Körper in sich hineinpressen, um ihn nie wieder zu verlieren oder hergeben zu müssen.
»Ich habe ihn gespürt, gefühlt – diesen stummen Schrei nach Licht, dieses Aufbegehren, dieses Schäumen der Seele, wie das eines jung gekelterten Weines. Du, du hast es mich gelehrt.«
Er spürte, wie sein Herz sich öffnete und sein Blick sich nach innen wandte und dort als einzigstes nur ihr Bild sah.
Und er fühlte, daß sie allein ihn gelehrt hatte, was reine, edle, wirkliche Liebe ist und was sie vermag.
In diesen Minuten wußte er zum erstenmal, daß ihre Seelen nah und fest für immer untrennbar miteinander verbunden waren.
Als er am nächsten Morgen in seiner Stube erwachte und die Gedanken zu den Ereignissen des vergangenen Tages zurückkehrten, hielt es ihn nicht lange zwischen seinen vier Wänden. Er stürmte hinaus, lief durch die Straßen, taumelnd vor Seligkeit, und hätte es am liebsten in die Welt geschrien:
Hört doch, hört, ihr teilnahmslosen Menschen, hört, was ich euch in die Ohren rufe! Ihr stumpfsinnigen Geschöpfe, ihr verfehlten Ebenbilder Gottes, hört, was ich euch zujuble: Sie, sie liebt mich, sie – ja, staunt nur – sie liebt mich, nur mich, Herrgott, begreift ihr denn nicht … was starrt ihr mich so an?
Oh, er war jung, frei und ehrlich und immer noch nicht, obwohl streng angefaßt vom Vater, von der Härte des Lebens geschlagen, die jedes Gefühl an den Rand des Verkümmerns bringen kann.
Und gerne hätte er der Menschheit noch zugerufen:
Seht ihr denn mit euren blinden Augen nicht, wie sich dort oben der Himmel öffnet, wie die herrliche Sonne strahlt, hört ihr mit euren tauben Ohren nicht, wie die Vögel jubeln: Ich liebe dich, ich liebe dich! – O ihr Menschen, ihr Wanderer auf Wegen des Stumpfsinnes, hört ihr denn immer noch nicht, welche Botschaft ich euch bringe? Nein, ihr hört mich nicht. Und trotzdem möchte ich euch umarmen, euch alle, weil ich unvorstellbar glücklich bin.
Aber er hat es nicht gerufen, hat es in sich verschlossen gehalten, still und gläubig, und es war ihm, als ginge ein helles, unirdisches Licht in ihm an, und als flüstere ihm eine leise und dennoch mächtig hallende Stimme zu: Sei dieser Liebe würdig!
Da stürmte er weiter, fort aus der Stadt, wieder hinaus in die Natur, flüchtete im Geiste in die Arme dessen, der alles erschafft und alles erlöst.
Was kümmerte es ihn, daß der Himmel seine Schleusen öffnete und ihn durchnäßte! Dünkte es ihn doch, daß die Regentropfen Freudentränen der Engel waren, die von ihnen über das Glück eines Menschenkindes geweint wurden.
Den Kragen hochgeschlagen bis zu den Ohren, die Hände tief in den Taschen vergraben, lief er durch Regen und Wind und achtete des Wetters nicht. Doch als sich die Wolken verzogen und die Sonne wieder am Himmel erschien, wuchs sein Gefühl ins Unermeßliche, und es war ihm, als spüre er das Herz der Geliebten an seinem Herzen schlagen, leise und harmonisch, unzertrennlich verbunden für ein ganzes Leben bis in den Tod.
Da betrat er, getrieben vom Drang, sich mitzuteilen, sich in seinem übervollen Inneren Luft zu verschaffen, eine kleine Kapelle am Wegesrand, setzte sich in einen der halbverfallenen, von Holzwürmern zerfressenen Chorstühle, brachte aus seinem Wams wieder einmal Pergament und Schreibzeug zum Vorschein und verfaßte im Anblick des gekreuzigten Heilands, der an der Altarwand hing, die Zeilen:
Bist Du nicht der alleinige Inhalt und Sinn meines Lebens, Geliebte? Bist Du nicht die menschliche Göttin, die herrliche Zauberfee, von der ein Wink, ein Blick, ein kleiner Kuß genügt, um das stolze Herz zu brechen, bis es Dir zu Füßen liegt? Können Deine zarten Finger nicht alle Fäden meines Lebens ziehen, so wie ein Puppenspieler seine kleinen, künstlichen Menschen führt? O Du meine Geliebte, nie hätte ich
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