Sieg des Herzens
Arzt aufgegeben hatte.«
»Hat Ihnen das mein Bruder erzählt?«
»Nein,... aber der Engel.«
»Ein Engel?«
»Nein, Sir, ich sagte, der Engel: Mrs. Tremaine. Sie ist auch von Florida. Kennen Sie sie vielleicht?«
»O ja, und ob ich sie kenne!«
Nachdem Julian das gesagt hatte, nahm er mit einemmal die Geräusche um sich herum gar nicht mehr wahr, und er erschauerte, obwohl es in dem Zelt brütendheiß war. Er hatte Angst um sie, große Angst. Die Feldlazarette lagen viel zu nah an der Schußlinie, meist kaum ein paar Meter von der Front entfernt, wo ohne weiteres Kanonenkugeln einschlagen oder sich eine Kugel hin verirren konnte ... und die Geschosse machten nun mal keinen Unterschied zwischen Freund und Feind, guten und schlechten Menschen, Krankenschwestern oder Soldaten. Sie erkannten Lazarettzelte nicht, um dann einen Bogen darum zu machen. Und sie töteten Männer und Frauen gleichermaßen ...
Julian fragte sich, wie viele Nächte er wohl schon wach gelegen hatte, wo er sich doch eigentlich vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten konnte und trotzdem keinen Schlaf fand, weil er sich Sorgen um sie machte. Verdammt noch mal, warum hatte sie auch nicht in St. Augustine bleiben können, wo sie in Sicherheit gewesen wäre? Auch dort hätte sie genug zu tun gehabt.
»Ist sie hier in Gettysburg?« wollte er dann von Smith wissen, wobei er sich bemühte, möglichst ruhig zu klingen.
»Ja, Sir.«
»Mit welcher Truppe?«
»Mit den Streitkräften von Magee, Sir.«
Mit Magee! Julian hätte sich verfluchen mögen. Er selbst hatte Rhiannon Magees Tochter Risa vorgestellt, und bestimmt hatte die dafür gesorgt, daß Rhiannon nun hier im Feld bei ihrem Vater war.
»Oh, wir sind so dankbar, daß wir sie haben«, hörte Julian Smith sagen. »Sie hat Grimley - unseren Chirurgen -gestern dazu gebracht, daß er einem Jungen das Bein ließ, als er schon drauf und dran war, es abzunehmen. Sie ist etwas ganz Besonderes, Sir, so schön und eine echte Dame, aber auch so entschlossen'. Sie hat zu Grimley gesagt, daß Sie schon Dutzende von Gliedmaßen gerettet hätten, die andere aufgegeben haben. Und daß sie Sie dabei beobachtet hätte und sich selbst um den Jungen kümmern wollte. Deshalb weiß ich ganz genau, Sir, daß Sie mir mein Bein lassen würden, wenn es eine Chance gäbe. Ehrlich gesagt, wäre ich schon dankbar, wenn ich nur am Leben bliebe.«
»Ich werde mein Bestes tun, Soldat«, versprach Julian, und als er dann einem Sanitäter zunickte, damit er dem Verletzten Äther verabreichte, schloß Smith die Augen und sagte seufzend: »Wenn doch bloß der Engel auch hier wäre...«
Nun, sie ist nun mal nicht hier, dachte Julian, sondern verdammt noch mal bei Magees Truppe. Wie konnte Magee es zulassen, daß sie sich so nah an der Front aufhielt. Engel - was für eine Bezeichnung! Sie hatte Männern das Leben gerettet und dafür gesorgt, daß sie alle Gliedmaßen behielten. Wunderheilerin oder raffinierte Hexe wäre vielleicht ein treffenderer Ausdruck gewesen. Ob Magee mittlerweile wohl auch ihren merkwürdigen Eingebungen vertraute?
Aber er durfte jetzt nicht länger an sie denken, konnte sich nicht erlauben, sich dadurch ablenken zu lassen, da man ihm immer noch mehr Verwundete brachte. Aber heute abend, wenn das Schießen endlich aufhörte ...
17
Der zweite Juli war ein furchtbarer Tag. Rhiannon hatte noch nie so große Flächen der Zerstörung gesehen und auch nicht so viele Tote. Vielleicht war es ganz normal, daß sie später davon träumte.
Der Tag hatte ganz früh mit dem Eintreffen der ersten neuen Truppenteile auf beiden Seiten begonnen. Als der Zustrom der Soldaten gar nicht mehr abriß, begannen die gegnerischen Lager zu erkennen, welches ungeheure Ausmaß einer Schlacht ihnen bevorstand. General George Meade, der auf Unionsseite den »Kämpfenden Joe«, also General Hooker, ersetzte, führte eine Defensivschlacht und bemühte sich lediglich, die Reihen aufrechtzuerhalten.
Vom Morgengrauen an bis zum Einbruch der Dunkelheit wurden ohne Unterlaß Verletzte gebracht, und Rhiannon arbeitete ohne Pause in einem der Lazarettzelte, die östlich des Kampfgeschehens lagen. Hier und da erfuhr sie von den Verwundeten, wie es draußen aussah: Unionssoldaten waren von den Konföderierten an Plätzen mit so poetisch klingenden Namen wie Devil's Den, Teufelsloch, und Peach Orchard, Pfirsichhain, gestellt worden. Am Little Roundtop, einem kleinen runden Hügel, hatte ein gewisser Colonel Joshua Chamberlain
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