Sieg des Herzens
auch sogleich folgsam stehen und ließ sich rasch wenden. Wie vermutet, hatte Ian sie in einem Bogen umrundet und kam nun seinerseits hinter ihr hergeritten.
Bei ihr angelangt, rief er wütend: »Was in Gottes Namen machst du denn hier?«
»Ich komme mit dir.«
»Aber das ist gefährlich.«
»Der Krieg ist nun mal gefährlich, Ian. Wenn ich im Lazarett arbeite, könnte eine Bombe aufs Zelt fallen, wenn ich zu Hause wäre, könnten Deserteure in mein Haus eindringen und mir die Kehle durchschneiden, nur um mich zu bestehlen.«
»Eigentlich solltest du ja auch in St. Augustine sein.«
»Wo die Rebellen sich dann irgendwann dazu entschließen, die Stadt zurückzuerobern. Dann würde womöglich in den Straßen gekämpft, und es könnte jeden treffen.«
»Sogar in Gettysburg ...«, wollte Ian fortfahren, wurde aber von Rhiannon unterbrochen. »Selbst in Gettysburg ist ein junges Mädchen von einem Irrläufer getroffen worden. Bitte, Ian, laß mich mit dir kommen«, bat Rhiannon ihn.
»Na, gut. Aber dann reite auch mit mir und schleich nicht hinter mir her!«
Es gelang ihr ein winziges Lächeln, während sie sich etwas verlegen eine Locke aus der Stirn strich, bevor sie ihm entgegnete: »Es wird mir ein Vergnügen sein, mit Ihnen zu reiten, Colonel McKenzie, Sir.«
Als sie schon ein Stück des Weges schweigend nebeneinander hergeritten waren, sagte Ian schließlich kleinlaut:
»Und ich hatte gerade einen Austausch für ihn arrangiert.«
Erschrocken blickte Rhiannon zu ihm hinüber: »Du hast doch gesagt, daß es ihm gutginge. Daß du fühlen könntest, wenn ihm etwas passiert wäre.«
»Ich habe gelogen«, gab Ian zu.
Sie wußte, daß er nun von ihr erwartete, daß sie ihm mehr von ihren Ahnungen erzählte. Da sie sich aber immer noch keinen Reim auf ihren Traum machen konnte, sagte sie nur kopfschüttelnd: »Ich weiß auch nicht, ich träume immer nur von...«
»Von was?«
»Von Särgen.«
Genau in dem Moment, da sie die Worte ausgesprochen hatte, zog Ian seinem Pferd scharf die Zügel an und bedeutete ihr mit der Hand, ebenfalls anzuhalten.
»Was ist denn?« flüsterte sie.
»Dort vorne liegt ein Wagenrad. Halt dich dicht hinter mir. Wenn irgendwas passiert, reitest du wie der Teufel direkt zurück zum Camp. Verstanden?«
»Ja, natürlich.«
Im Schrittempo ließ er nun sein Pferd weitergehen, und Rhiannon hielt sich wie befohlen dicht hinter ihm. Ein paar Meter weiter lag mitten auf der Straße die Leiche eines Mannes. Wenige Minuten später kamen sie zu einem kleinen Wäldchen, und Rhiannon hielt erschrocken den Atem an...
Dort im Unterholz lehnte ein Wagen, dem ein Rad fehlte, schief an einem Baum. Und um den Wagen herum lagen ... lauter Särge. Einige waren scheinbar noch völlig intakt, andere zerborsten, und die Leichen hingen halb heraus. Manche Tote sahen fast aus, als ob sie schliefen, andere trugen blutverkrustete Kleider, einige waren schon dabei zu verwesen, und in manchen Särgen waren nur noch Knochen...
»Rhiannon, bleib da weg!« warnte sie Ian.
Aber sie war schon abgesessen. Nicht weit von ihr entfernt lag ein Mann mit einer Schußverletzung im Oberkörper, aus dessen Wunde noch Blut quoll. Daneben stand ein offener Sarg, quer darüber lag noch ein Mann, und darin...
Mit ganz weichen Knien ging Rhiannon etwas näher an den Sarg heran.
Da war er! Sein Gesicht war kreideweiß, so daß sein dunkles Haar einen noch härteren Kontrast dazu bildete. Er trug ein verschlissenes Baumwollhemd und einen grauen Uniformrock...
»Julian!« schrie sie entsetzt, »Julian!« Das Herz schlug ihr bis zum Hals, der Wind schien sich heulend um sie herum zu erheben. Sie konnte es nicht ertragen. Sie wollte ihn aus dem Sarg zerren und so lange schütteln, bis das Leben in ihn zurückkehrte...
Da war Rhiannons Stimme. Aus unendlicher Entfernung hatte er sie seinen Namen rufen hören. Sie rief nach ihm, und er mußte ihr antworten. Er schlug die Augen auf. War er tot oder träumte er nur? Er zwinkerte wie wild, fühlte einen stechenden Schmerz an der Schläfe, das Gewicht eines Menschen, der auf ihm zu liegen schien, und das harte Holz unter sich. Nein, er war nicht tot.
Dann nahm er alle Kraft zusammen ...
Langsam setzte sich Julian auf, und sie blieb - zu Tode erschrocken - wie angewurzelt stehen. Sie beobachtete, wie er den toten Mann von sich schob.
Wieder blinzelte er. Er wollte seinen Augen nicht trauen, denn da stand sie, direkt vor ihm: Rhiannon mit ihrem ebenholzfarbenen Haar, das nun wild
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