Sieg des Herzens
anzusehen - obwohl faltenlos, hatte es einen Ausdruck, der normalerweise erst mit dem Alter kommt.
Sie ist eine sehr stolze Frau und hat wohl vor niemandem Angst, dachte Julian, und laut sagte er: »Sie sind bestimmt Mammy Nor, nicht wahr?«
»Das bin ich, Sir. Angus kümmert sich für Misses Rhiannon um die Außenanlagen, und ich kümmere mich um das Haus. Ich habe Ihnen hier meine ganz besondere Spezialität mitgebracht, einen Beerenwein - extra für Sie. Er ist sehr vollmundig und stark, Sir. Er wird Ihr Blut wärmen.«
»Ich glaube, ich werde Ihren Wein ganz besonders mögen, mir gefriert nämlich das Blut in letzter Zeit immer öfter in den Adern.«
»Doch nicht wegen unserer Herrin? Wissen Sie, es gibt eine ganze Menge Leute, die Misses Rhiannon für eine Hexe halten.«
»Ist sie eine böse Hexe?«
»Nein, nicht böse.«
»Aber eine Hexe?«
»Wer kann das schon so genau sagen. Meine Familie stammt aus New Orleans. Dort erzählt man sich Geschichten von Voodoo-Priestern und -Priesterinnen, von guter und böser Magie. Dann gibt es da noch den alten Glauben der Weißen, die alte weiße Art. Die Leute, die sich damit befassen, betreiben den Wicca-Kult und ähnliche Dinge. Es sind erdverbundene Menschen. Die wahre Magie liegt nämlich in der Erde, Sir. Die Indianer und auch die Leute aus Afrika wissen das noch. Aber die Weißen heutzutage haben meist alles vergessen, was die Erde ihnen geben kann. Sie sind doch Arzt, Sie sollten darüber Bescheid wissen! Man muß keine Hexe sein, um zaubern zu können. Aber die Herrin kann Zauber wirken lassen.«
»Mit einem Zaubertrank?« fragte Julian.
»Mein Gott, mit allem, was die Erde uns gibt!« rief Mammy Nor aus.
»Da gibt es Gutes und Schlechtes«, warf Julian ein. »Haben Sie mir etwa etwas in den Wein getan?« fragte er dann höflich.
Mammy Nor warf lachend den Kopf zurück. »Gott ist mein Zeuge, daß ich das nicht getan habe! Und wissen Sie warum, Colonel? Wenn ich einen Mann umbringen wollte, dann würde ich ihm eine Kugel zwischen die Augen setzen.«
»Nun«, sagte er lächelnd, »das glaube ich Ihnen aufs Wort.«
»Soll das heißen, daß Sie überzeugt davon sind, daß der Wein nicht vergiftet ist, nur weil ich es Ihnen sage?«
»Ja«, erwiderte er.
»Ich mag Sie«, sagte Mammy Nor und studierte mit ernster Miene sein Gesicht, bevor sie fortfuhr: »Aber da ich Sie nun einmal mag, muß ich Sie warnen: Trinken Sie nicht zuviel davon, denn entweder schlafen Sie dann sehr gut oder ... überhaupt nicht. Der Wein belebt die Sinne, behebt die kleinen Zipperlein im Körper und umnebelt einen dabei nur ein ganz klein wenig. Vielleicht werden Sie auch gleich einschlafen und schön träumen. Denn in diesen Tagen, Sir, sind die Träume besser als die Wirklichkeit. Der Wein hat eine sehr starke Wirkung, mehr kann ich dazu nicht sagen. Probieren Sie ihn doch mal!«
Das tat er denn auch. Es war ein ausgezeichneter Wein, mit viel Körper, fast schon ein Portwein. Er war trocken, ohne säuerlich zu schmecken, und fruchtig, ohne zu süß zu sein.
»Und, Colonel, wie ist er?«
»Sie machen einen wunderbaren Wein, Mammy Nor!«
»Wie wunderbar er wirklich ist, werden Sie erst später erleben, Colonel!«
»Da bin ich ja mal gespannt.«
»Gute Nacht dann, Sir. Schlafen Sie gut und träumen Sie etwas Schönes.«
»Ihnen auch ein gute Nacht, Mammy Nor.«
Sie blinzelte ihm verschwörerisch zu und ließ ihn dann allein, während Julian nicht umhinkonnte, zu denken, daß dies ein merkwürdiger Haushalt war.
Der Wein schmeckte wirklich ausgezeichnet. Er schien sich in seinem ganzen Körper auszubreiten und - so wie sie gesagt hatte - all die kleinen Wehwehchen zu kurieren.
Obwohl Julian sich sicher war, daß der Wein nicht vergiftet war, trank er ihn doch langsam und in kleinen Schlucken. Die Erdhexe, der das Anwesen gehörte, war eine Unionsgetreue, und allein deshalb mußte er schon vorsichtig sein. Aber die behagliche Wärme, die sich in seinem Körper ausbreitete, ließ ihn noch mehr trinken. Ein zweites Glas würde er ja wohl noch vertragen. Dieser Wein war wirklich sehr stark und ganz besonders gut. Davon einmal abgesehen, hatte er immer einen ordentlichen Schluck Brandy vertragen, so daß ihm auch ein paar Glas Wein nichts ausmachen würden.
Als er sich gerade den Rest aus der Karaffe einschenkte, kam Rachel ins Zimmer.
»Oh, Sir, da sind Sie ja!« sagte sie erfreut.
»Hallo, Rachel.«
»Haben Sie schon gegessen?« wollte sie wissen.
Sie war jung,
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