Sieg des Herzens
Männer waren immer gefährlich. Trotz der hochgesteckten Ideale vieler Soldaten auf beiden Seiten gab es doch solche, die nach zwei Jahren Krieg jeden Moral- oder Ehrbegriff verloren hatten. Rhiannon hatte schon zahlreiche Horrorgeschichten von Deserteuren gehört, die auf Plantagen einfielen, das Eigentum anderer stahlen, zerstörten und die Frauen, die ohne männlichen Schutz zurückgeblieben waren, vergewaltigten.
Schon als Richard noch lebte, hatte sie es zugelassen, daß die Natur sich allmählich wieder des Rasenplatzes vor ihrem Haus bemächtigte, und auch sonst ihr möglichstes getan, damit das Haus aussah, als stünde es leer.
Stirnrunzelnd dachte sie, daß es ihr beinah recht wäre, wenn ihr jetzt jemand eine Kugel in den Kopf jagte. Sie hatte schon lange bevor der offizielle Brief von Richards Colonel sie erreicht hatte, gewußt, daß ihr Ehemann tot war. Seitdem schwankte sie zwischen Apathie und Verzweiflung, und der Schmerz über den Verlust ihres Mannes schnitt ihr wie ein Messer ins Herz. Sie wollte kein Feigling sein, aber manchmal tat es so weh, daß sie dachte, daß der Tod eine willkommene Erlösung wäre. Aber sie war für Rachel verantwortlich, die Cousine ihres Mannes, und für Mammy Nor und Angus. Und dann war da noch ihr Garten.
Sollten ihre Nachbarn sie doch für eine Hexe halten. Sie war einfach fasziniert von Kräutern und Heilpflanzen und den einfachen Kräften der Natur, daß es ihr nichts ausmachte, wenn die anderen sie Kräuterfrau oder Hexe nannten. Ohnehin sprachen die meisten diesen Begriff mit ehrlicher Dankbarkeit aus, und sie half gerne kranken Menschen.
Egal, ob an Leib oder Seele krank! dachte sie fast zynisch. Es tat niemandem weh, daß sie in der Lage war, das schmerzlindernde Morphium herzustellen - ganz im Gegenteil.
»Misses Rhiannon!«
Als sie ihren Namen hörte, fuhr sie beinah erschrocken herum. Angus, der ehemalige Kammerdiener ihres Mannes, der nun ihre rechte Hand geworden war, bog gerade um die Hausecke.
»Angus, ich muß mit dir reden.«
»Das habe ich mir schon gedacht, Misses Rhiannon. Miß Rachel hat bereits allen Soldaten ihre Unterkunft zugewiesen. Diesen Colonel hat sie oben im Gästezimmer einquartiert. Mammy Nor hat dafür gesorgt, daß die Soldaten genug zu essen haben. Ich glaube, daß sie zufrieden sind und wir sie ordentlich untergebracht haben.«
Sie nickte. »Gut, dann werden wir sie jetzt melden.«
»Was?« fragte Angus erstaunt und stemmte die Hände in die Seite. Er war ein großer, breitschultriger Mann mit der Kraft eines Stieres. Wie er da so vor ihr stand, sah er richtig furchteinflößend aus, und Rhiannon mußte unwillkürlich lächeln. Sie liebte es, wenn jemand Eindruck machte, solange er auf ihrer Seite war.
»Angus, diese Kerle sind Lügner. Wenn der Colonel zu Bett gegangen ist, möchte ich, daß du dich auf den Weg nach St. Augustine machst. Frag dich nach einem Hauptmann Cline durch. Er ist ein guter alter Freund. Sag ihm, daß ich glaube, hier bei mir ein paar unverbesserliche Rebellen zu haben.«
Angus bekam große Augen. »Rebellen! Hier im Haus! Aber wieso denn, Ma'am, die Jungs waren doch höflich, anständig und offen.«
»Angus, man muß nicht ungezogen sein, um ein Rebell zu sein. Glaub mir, ich weiß, was diese Männer sind.«
»Ich glaube Ihnen ja, Ma'am. Ich kenne Sie gut genug, um Ihrem Urteil zu vertrauen! Aber sind Sie sicher, daß ich sie wirklich melden soll?«
Rhiannon zögerte, überrascht, sich eingestehen zu müssen, daß sie eigentlich gar nicht wollte, daß ihren Gästen Böses widerfuhr. Aber sie war sich ziemlich sicher, Männer zu beherbergen, die den Truppen um St. Augustine beständig das Leben schwermachten - Männer, für die das Leben eines Nordstaatlers keinen Pfifferling wert war.
»Miß Rachel hat gesagt, daß der Colonel ein guter Doktor ist...«, versuchte Angus noch einmal, Rhiannon umzustimmen.
»Er mag ja ein guter Arzt sein, Angus, aber er trägt auch einen Colt«, entgegnete Rhiannon und biß sich auf die Unterlippe, weil sie sich tatsächlich nicht mehr so sicher war, ob sie die Männer wirklich verraten sollte. Besonders jetzt, wo Angus den Colonel erwähnt hatte.
Eigentlich gehörte es zu Rhiannons Fähigkeiten, verborgene Dinge wahrzunehmen, aber im Augenblick sah es so aus, als ob der Colonel viel mehr in ihr lesen konnte, als gut für sie war. Vielleicht war sie auch nur unsicher, weil er in ihr ein so merkwürdiges Gefühl hervorrief - eine Art inneren Konflikt. Sie
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