Sieg des Herzens
sein Herz. Er versuchte, nicht hinzuhören und ihre Privatsphäre zu respektieren, in der sie sich ihrer Trauer hingab. Aber dann, mittendrin, hörte er einen Aufschrei.
»Nein, nein, neiiiiin!«
Dann fiel etwas zu Boden, und er sprang auf, wobei das Wasser von seinem Körper zurück in die Wanne lief. Einen Augenblick lang hatte er das Gefühl, zu schwanken - das kam sicher von dem Wein. Fluchend griff er nach einem Handtuch, wickelte sich darin ein und stieg aus der Wanne, bemüht, sein Gleichgewicht wiederzufinden. Er nahm seinen Colt vom Stuhl, den er beim Ausziehen dort abgelegt hatte.
Den Colt in der einen, einen Zipfel des Handtuchs in der anderen Hand, war er schon drauf und dran, über den Flur zu rennen, um nachzusehen, wer oder was seine Gastgeberin angegriffen hatte, als ihm bewußt wurde, daß es zwischen den Räumen eine Verbindungstür gab. Hastig stürzte er dorthin, drehte den Knauf, mußte aber feststellen, daß die Tür verschlossen war. Aus Angst, daß sich Mrs. Tremaine wirklich in Gefahr befand, rammte er mit der Schulter dagegen, und die Tür, viel weniger stabil als die zur Eingangshalle, gab sofort nach: Das Schloß brach einfach aus dem Türblatt. Er hatte noch soviel Schwung, daß er erst mitten im Zimmer zum Stehen kam - das Handtuch um die Hüften, die Waffe in der Hand.
Aber es war niemand da. Zumindest nicht im Zimmer. Mrs. Tremaine saß auf einer weißgetünchten Holzschaukel auf dem Balkon. Wenn der Mond nicht geschienen hätte, hätte er sie überhaupt nicht bemerkt. Barfüßig in einem langen Baumwollnachthemd saß sie mit angewinkelten Beinen in der Schaukel und ließ sich hin- und herwiegen. Ihr ebenholzfarbenes Haar hatte sie gelöst, so daß es ihr nun wie ein dunkler schwarzer Seidenschal über den Rücken fiel. Sie wirkte sehr jung, fast wie ein verlassenes Kind, das sanft vom Mondlicht beschienen wurde.
Eigentlich hätte sie hören müssen, daß die Tür aufgebrochen wurde. Aber er hatte den Eindruck, als habe sie sein Kommen überhaupt nicht bemerkt. Verwundert darüber wollte er gerade zu ihr auf den Balkon gehen, als sein Fuß in etwas Nasses trat und er innehielt. Er sah auf dem
Boden und stellte fest, daß er in einer Weinlache stand, daneben die Scherben eines zerbrochenen Glases.
Vorsichtig ging er um die Scherben herum und dann weiter auf den Balkon zu. Erst als er schon fast bei seiner Gastgeberin angelangt war, wurde sie auf ihn aufmerksam, sprang erschrocken auf und stieß hervor: »Wie können Sie es wagen, sich so an mich heranzuschleichen?«
»Man kann wohl kaum behaupten, daß ich mich an Sie herangeschlichen hätte, wenn man in Betracht zieht, daß ich vorher eine Tür einrennen mußte, um zu Ihnen zu gelangen.«
»Was in Gottes Namen machen Sie hier?«
»Ich wollte Sie retten.«
»Mich retten?«
Sie ließ ihren Blick über seinen Körper gleiten und stellte erstaunt fest, daß er nur mit einem Badehandtuch bekleidet war und in einer Hand seinen Colt hielt. Vor Schreck bekam sie ganz große Augen und sagte empört: »Sie wollen mich retten und kommen halbnackt hier rein? Dann schien ihr ein anderer Gedanke zu kommen. »Werden Sie mich erschießen?« fragte sie ein wenig atemlos, als ob es einen Grund geben könnte, sie zu töten.
»Warum sollte ich das tun?« fragte er.
»Weil ...«, hob sie an, brach dann aber mitten im Satz ab. »Sie ... Sie halten eine Waffe auf mich gerichtet.«
»Ich dachte, daß Sie jemand angegriffen hätte. Und außerdem ziele ich gar nicht auf Sie.«
»Wer sollte mich denn angreifen? Einer Ihrer Männer vielleicht?« fragte sie herausfordernd.
Er biß die Zähne zusammen: Sein Kopf dröhnte, und ihm war immer noch schwindelig. Da stand er nun bei ihr im Zimmer, nur mit einem Handtuch bekleidet, eine Waffe in der Hand, und kam sich vor wie ein Idiot.
»Sie haben geweint ... und dann geschrien«, versuchte er die Situation zu erklären.
»Machen Sie sich doch nicht lächerlich. Ich habe überhaupt nicht geschrien.«
»Doch!« Verdammt, so viel Wein hatte er nun auch wieder nicht getrunken.
Plötzlich wandte sie den Blick ab, und ihr Tonfall änderte sich. »Es ... Es tut mir leid. Ich habe wohl geträumt. Es war ... Vielleicht war es ein Alptraum...«
Irgend etwas war mit ihr nicht in Ordnung. Als sie ihn wieder ansah, stellte er fest, daß ihre Pupillen trotz des hellen Mondscheins unnatürlich geweitet waren. Eine Hand hielt sie hinter dem Rücken, wie ein Kind, das versuchte, ein Spielzeug zu verstecken, mit dem
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