Sieg des Herzens
vorstellen«, war Julians knappe Antwort.
Verwundert zog Ian eine Augenbraue hoch und ergänzte: »Eine interessante Hexe, eine weiße Hexe. Man sagt, daß sie Kräuterumschläge machen kann, die die tiefsten Wunden heilen, das Wetter vorhersagt und verlorengegangene Kinder wiederfindet.«
»Wirklich äußerst seltene Gaben«, murmelte Julian.
»Glaubst du, daß das stimmt?« wollte Ian wissen. »Sie ist doch noch ziemlich jung für eine weise Frau.«
Julian hob zweifelnd die Hand. »Ich habe sie nur kurz kennengelernt. Wie kann ich sie da beurteilen?«
»Du bist doch Arzt. Tante Teela hatte auch immer so ein Händchen mit all unseren Schürfwunden, Schnittverletzungen, blauen Flecken und Wehwehchen, weißt du noch? Vielleicht ist es bei dieser Rhiannon genauso.«
»Sie ist ziemlich erfahren, was den Umgang mit Verletzten angeht«, entgegnete Julian unverbindlich.
»Das heißt, sie hat dir dabei geholfen, einen Rebellen wieder zusammenzuflicken!« sagte Ian erstaunt.
»Man hatte ihr erzählt, daß es sich bei ihm um einen Yankee handele.«
»Ah, aber sie hat euch durchschaut, nicht wahr?« Ian war sichtlich amüsiert. »Das würde bedeuten, daß sie hellsehen kann. Immerhin hat sie den Truppen in St. Augustine eine Meldung zukommen lassen ...«
»Sie wußte, daß wir sie angelogen haben, und hat uns etwas vorgespielt. Was hätte sie denn sonst tun sollen?« entgegnete Julian aufgebracht darüber, daß sein Bruder so neugierig war und alles ganz genau wissen wollte. Ian kannte ihn einfach zu gut.
»Sie scheint mir eine ganz außerordentliche Frau zu sein. Willst du mir etwa weismachen, daß du nicht von ihr beeindruckt warst?«
»Ian, du bist verheiratet!«
»Das stimmt, aber du nicht!«
»Ja, sie ist außergewöhnlich«, sagte Julian etwas ungehalten, »und unvernünftig.«
»Wie kommst du darauf?«
»Sie nimmt Morphium ... und andere Drogen.«
Wieder zog Ian fragend eine Augenbraue hoch und versuchte am Gesicht seines Bruders abzulesen, was er ihm wohl vorenthielt, bevor er sagte: »Sie ist in Trauer. Es tat mir leid, daß ich ihr mit diesem Brief noch mehr Kummer gemacht habe, aber ich mußte ihn ihr ja wohl geben.«
»Auch andere Frauen haben ihre Ehemänner verloren und Mütter ihre Söhne. Unsere Cousine Jennifer hat ihren Mann verloren und...«
»Wurde Spionin, ließ in ihrem Kummer alle Vorsicht außer acht und wäre beinah gehängt worden«, fiel ihm Ian ins Wort. »Wir vergessen nur allzu leicht, daß dies auch ein Krieg der Frauen ist. Oftmals ist es schlimmer, abwarten zu müssen, um dann zu erfahren, daß dem Partner etwas zugestoßen ist, als sich jeden Tag der Gefahr zu stellen. Die Frauen müssen dann mit dem Wissen weitermachen, daß ihr Mann nie wiederkommt. Das ist sicher nur schwer zu ertragen.«
»Das hört sich ja an wie eine Rede.«
»Alaina hat mir die Augen geöffnet«, sagte Ian lächelnd und fuhr achselzuckend fort: »Ich bin schon zu oft in Washington gewesen, als nach einer Schlacht die Listen der Toten veröffentlicht wurden. Ich habe gesehen, wie die Frauen warten und hoffen, und wie enttäuscht und verzweifelt sie sind, wenn ihr Hoffen vergebens war. Und ich habe ihre Tränen gesehen, Julian. Bei Mrs. Tremaine ist es nicht anders. Es tut verteufelt weh, einen geliebten Menschen zu verlieren. Natürlich heilt die Zeit viele Wunden. Aber Rhiannon hat noch nicht genügend Zeit gehabt, um den Schmerz über den Verlust ihres Mannes zu überwinden. Dieser Krieg wird ein ganzes Meer von Witwen hinterlassen, und viele von ihnen werden trauern, bis sie alt und grau sind, und dann selbst sterben.«
»Wenn sie nicht aufpaßt, muß sie darauf nicht mehr lange warten«, entgegnete Julian trocken.
»Das wäre aber schade, sie ist wirklich hinreißend.«
»Deine Frau auch«, erinnerte ihn Julian.
Ian quittierte diese Bemerkung mit einem wissenden Lächeln und entgegnete: »Niemand braucht mich daran zu erinnern. Alaina ist zauberhaft und vor allem großherzig. Ich denke, ich sollte Mrs. Tremaine dazu überreden, nach St. Augustine zu ziehen, wo sie vor euch Rebellenpack sicher ist. Es gibt nämlich einige, die glauben, daß sie ihnen ganz nützlich sein könnte.«
»Mit Sicherheit wäre sie das«, sagte Julian.
»Ich wünschte, sie würde sich einverstanden erklären, mit mir zu kommen, aber ich bezweifle, daß sie das tun wird. Aber wenn sie in ihrem Haus bleibt, wird sie vielleicht noch große Schwierigkeiten bekommen, da die Armee sicher feststellen möchte, was es mit
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