Sieg des Herzens
die feindlichen Linien überquert, entschlossen, einander auch in Zeiten der Gefahr beizustehen - koste es, was es wolle; denn Blut war eben dicker als die Treue zu irgendeiner Organisation.
Julian sah seinen Vetter Jerome alle paar Monate einmal, wenn der ihm wieder Versorgungsmaterial brachte. Viel schwieriger war es da für ihn, seinen Bruder zu treffen, weil sie auf verschiedenen Seiten kämpften.
»Wie geht es Alaina, Risa und den Kindern?« fragte Julian hastig.
Ian schien mit der Antwort zu zögern, sagte dann aber: »Es geht ihnen allen gut, danke der Nachfrage. Hast du Vater und Mutter in letzter Zeit mal wieder gesehen?«
»Nein, leider schon seit Monaten nicht mehr. Aber Tia war vor ein paar Wochen zu Hause und sagte, sie seien wohlauf.«
»Ich vermisse sie«, sagte Ian seufzend, nahm seinen Kavalleriehut vom Kopf und klopfte den Staub ab, während er sehnsüchtig nach Westen blickte. »Ich würde so gerne mal wieder nach Hause gehen. Mir fehlen unsere Unterhaltungen, unsere kleinen Auseinandersetzungen und Cimarron.«
»Glaubst du, daß dieser Krieg jemals eine Ende nimmt?« wollte Julian von ihm wissen.
Daraufhin sah Ian ihn nachdenklich an und erwiderte schließlich: »Ja, das wird er. Am Ende wird der Norden siegen, weil er über mehr Soldaten und Material verfügt. Die Konföderierten werden sich irgendwann geschlagen geben müssen.«
»Vielleicht«, entgegnete Julian, der dem Blick seines Bruders ungerührt standhielt, »aber vielleicht wird sich auch Europa einschalten, die Konföderation anerkennen und soviel Druck auf die Union ausüben, daß die Bundesregierung schließlich froh ist, wenn sie die Südstaaten loshat, und ihnen die Freiheit schenkt. Da bald Wahlen anstehen, gewinnt vielleicht auch der Kandidat, der gegen den Krieg ist.«
Ian lehnte sich gegen den Stamm einer Eiche, verschränkte die Arme vor der Brust und grinste. »Schade, daß wir den Streit nicht gleich hier und jetzt beilegen können.«
»Du meinst, daß wir ihn ausfechten, so wie damals, als wir noch klein waren? Weil du denkst, daß du mir überlegen bist?«
»Immerhin bin ich der Ältere.«
»Ich glaube, ich bin ein bißchen größer.«
»Ich bin besser in Form.«
»Das nehme ich dir übel«, sagte Julian im Scherz.
»Ich wiege jetzt bestimmt zehn Kilo mehr als du.«
»Paßt bloß auf, daß ihr Yankees bei all dem guten Essen nicht zu fett werdet.«
Ian lachte und setzte den Hut wieder auf. »Ich glaube, daß es dir gestern abend auch nicht schlechtging. Mrs. Tremaine scheint einen sehr gut organisierten Haushalt zu führen.«
»O ja, erst die Rebellen verköstigen und dann die Yankees holen!« erwiderte er stirnrunzelnd. »Wie kommt es eigentlich, daß man dich hier herausgeschickt hat, Ian?«
»Nun, ich hab' mir schon gedacht, daß du irgend etwas damit zu tun hast, und gehofft, dich hier zu treffen. Und wenn wir schon ein paar abgerissene Milizangehörige gefangennehmen sollen, die man auch für Spione halten könnte, wollte ich sichergehen, daß sich jemand darum kümmert, der in der Stimmung ist, Gefangene zu machen - und nicht so verbittert ist, daß er lieber gleich alle erschießen läßt.«
»Da hast du gut daran getan, großer Bruder. Aber wie du siehst, ist die ganze abgerissene Bande verschwunden.«
»Du weißt, daß ich immer eine hohe Meinung von diesen Miliztruppen hatte, Julian. Und das gilt auch für die Mächtigen, die in der Regierung sitzen. Die Politiker wissen, daß eure Männer schnell, diszipliniert und in der Lage sind, ruck, zuck alles ins Chaos zu stürzen. Das macht die Miliz so gefährlich, egal, wie klein so ein Trupp auch sein mag.«
Julian nickte. »Wir sind so wenige, daß wir unser Bestes geben müssen, und das weißt du auch, Ian. Du bist der Meinung, daß es richtig ist, für den Norden zu kämpfen, und du weißt, daß diese Jungs genauso davon überzeugt sind, richtig zu handeln, wenn sie ihren Staat, Florida, verteidigen.«
»Ich bin nicht nur euretwegen gekommen, ich hatte auch eine Nachricht für Rhiannon Tremaine. Ich sollte ihr einen Brief überbringen, den man bei den Sachen ihres Mannes gefunden hat. Ihr Mann war mit Colonel Egan in Antietam. Egan ist ein Freund von mir und bat mich, ihr den Umschlag persönlich zu übergeben. Was ich auch getan habe, da ich die Dame ohnehin einmal kennenlernen wollte.«
»Oh, wie darf ich denn das verstehen?« fragte Julian erstaunt.
»Man sagt, sie sei eine Hexe«, entgegnete Ian achselzuckend.
»Das kann ich mir
Weitere Kostenlose Bücher