Sieg des Herzens
Ihnen mit und werde Ihnen die Augen verbinden, wenn ich hinter Ihnen sitze.«
»Warten Sie einen Moment«, protestierte Rhiannon. »Das ist wirklich nicht nötig. Wir könnten doch schwören, daß wir keinerlei Informationen darüber preisgeben, wo sich Ihr Lager...«
»Ihnen würden wir bestimmt keine Sekunde glauben«, unterbrach Julian sie gelassen, saß ab, nahm eines der Halstücher und kam auf Rhiannons Pferd zu. An dem Ausdruck seiner blauen Augen erkannte sie, daß er ebenfalls vorhatte, sich hinter sie aufs Pferd zu schwingen.
»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort«, kreischte sie beinah.
»Ihr Ehrenwort, mh?« entgegnete Julian seelenruhig.
»Ma'am, natürlich würden wir uns gern darauf verlassen, aber in diesen Zeiten müssen Sie schon verstehen ...«, murmelte Leutnant Smith entschuldigend.
Schon hatte Julian eine Hand auf den Sattel ihres Pferdes gelegt, und als er sich behende hinter sie schwang, rutschte sie soweit wie möglich nach vorn, um ihn nicht berühren zu müssen - was natürlich trotzdem unvermeidbar war.
»Augen zu«, zischte er.
»Das ist wirklich nicht nötig...«
»Gerade bei Ihnen ist es nötig«, sagte er, und schon fühlte sie das Halstuch auf den Augen, das er nicht gerade sanft festband.
»Sind Sie okay?« hörte Rhiannon Digby Rachel fragen, und da ihr Mündel prompt reagierte, wußte sie, daß Digby bereits hinter Rachel saß, und diese es einfach wunderbar fand.
Jetzt wurde Rhiannon erst recht wütend, aber ihr waren ja die Hände ge-, besser gesagt die Augen verbunden. Da sie noch nie so auf einem Pferd gesessen hatte, wurde ihre ganze Aufmerksamkeit bald von dieser neuen Erfahrung eingenommen. Irgendwie war es richtig anstrengend. Da sie nun nichts mehr sehen konnte, hörte und fühlte sie viel mehr als sonst und wurde sich beinah schmerzlich ihres Tast-, Hör- und Geruchssinns bewußt.
Zum erstenmal realisierte sie, wie es wohl einem Blinden erging, der sich ausschließlich auf diese Sinne verlassen mußte. Jeder Windhauch erschien ihr laut; sie vermeinte die Sonnenstrahlen einzeln zu spüren und hätte sogar fast sagen können, in welchem Winkel sie auf ihrem Gesicht auftrafen. Da die Sonne besonders ihre rechte Gesichtshälfte erwärmte und sie die ganze Zeit in nördlicher Richtung geritten waren, mußte der Sonnenuntergang kurz bevorstehen - und damit Linderung, die nur die Kühle der Nacht bringen konnte. Allmählich wurde die Brise stärker, sie spürte, wie die Luft ein wenig feucht wurde und ...
Es roch nach ihm. Immer noch haftete diesem Rebellen das Parfüm der Seife an, mit der er sich vorletzte Nacht gewaschen hatte. Und dann war da noch ein anderer Geruch, kaum wahrnehmbar, ein ihm ganz eigener Duft, den sie unwillkürlich begierig einatmete, was in ihr gewisse Erinnerungen an seine Männlichkeit und Einzigartigkeit hervorrief. Schnell versuchte sie sich einzureden, daß sie sich das alles nur einbildete, während die Bewegung des Pferdes unter ihr gleichzeitig ein Gefühl verstärkte, das begonnen hatte, sich in ihren Lenden auszubreiten. Sie fühlte jeden Stoß, wenn einer der Hufe den Boden berührte.
Dann war da noch die sanfte feuchte Wärme der Luft, die sowohl auf baldigen Regen schließen ließ, als auch ein Gefühl auf ihrer Haut hervorrief, das an eine Liebesnacht erinnerte. Rhiannon spürte regelrecht, wie es dunkel wurde und schmeckte die Feuchtigkeit der Luft, konnte jede Bewegung hören und fühlte ... Julian, der die Innenseite seiner Schenkel gegen ihre preßte und einen Arm um sie geschlungen hatte, während er mit dem anderen ihr Pferd lenkte. Ihr Rücken lag an seinem breiten Oberkörper. Er wirkte sonst so schlank, beinah hager, aber jetzt fühlte sie jede einzelne Bewegung seiner Muskeln.
Obwohl ihre Augen verbunden waren, schloß sie sie jetzt ganz und wünschte, daß sie die Verwirrung und Angst endlich loswürde, die immer noch an ihrem Herzen nagten und von der Nacht herrührten, die sie und Julian wohl gemeinsam verbracht hatten. Warum konnte sie nicht sehen, was da passiert war, wo sie doch sonst ständig mit Bildern der Vergangenheit gequält wurde? Was hatte sie bloß getan? Wieso war die verschwommene Erinnerung daran, sowohl schmerzhaft... als auch angenehm?
Sie wünschte verzweifelt, daß sie allein auf dem Pferd säße, um endlich wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Die innere Unruhe, die sie jetzt spürte, hatte nichts mit ihrer Abhängigkeit zu tun, aber um so mehr mit dem herzlosen, wütenden Mann, der da
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