Sieg des Herzens
Schiffskabine. Er versuchte, vom Bett aufzustehen; aber ein anderer, der sich um ihn zu kümmern schien, drückte ihn wieder in die Kissen. Sein Kopf fiel zurück, und jetzt sah sie den Verband an seinem Arm, der immer blutiger wurde, je mehr der Mann sich hin- und herwälzte...
Das Schiff segelte durch die Nacht und kam immer näher. Der Mann öffnete die Augen, und sie hatte das Gefühl, als ob er sehen könnte, daß sie ihn beobachtete. Aber es war alles nur ein Traum. Und dann begann der Traum zu verblassen, und sie schlief ganz tief ein.
Rhiannon erwachte vom Vogelgezwitscher. Im Sonnenlicht, das durch die Zeltplane ins Innere fiel, tanzten Staubpartikel, und sie spürte, wie sich das Zelt allmählich aufheizte. Sie reckte und streckte sich, um sich dann erschrocken zur Seite zu drehen. Aber Julian war nicht mehr da. Sie sah hinüber zu Rachels Bett und stellte fest, daß auch ihr Mündel schon aufgestanden war. Sie war allein.
Vorsichtig setzte sie sich auf. Zu ihrer großen Verwunderung fühlte sie sich richtig ausgeruht, erstaunlich klar im Kopf und körperlich ziemlich wohl. Rasch zog sie sich an, da sie das Gefühl hatte, daß jeden Augenblick jemand ins Zelt kommen könnte. Da es sicher wieder ein heißer Tag werden würde, verzichtete sie auf das Korsett und die langen Spitzenunterhosen und begnügte sich mit einem leichten Baumwolleibchen unter ihrem schwarzen Kleid. Dann trat sie hinaus ins Freie.
Ein anderer Mann bewachte nun das Zelt. Er lehnte auf seinem Gewehr und nippte an einem Becher Kaffee. Auch er gehörte zu den Männern, die in ihr Haus gekommen waren.
»Daniel Anderson aus Jacksonville, stimmt's?« fragte sie, und er nickte, erfreut darüber, daß sie sich an seinen Namen erinnerte. Dann hielt er den Becher hoch und sagte: »Vielen Dank für den Kaffee, Ma'am.«
Wie meinte er denn das? Sie hätte ihm vielleicht sagen sollen, daß er lieber Mammy Nor oder Rachel danken sollte. Aber sie gönnte ihm den Kaffee, der ihm wirklich ausgezeichnet zu schmecken schien, und wollte ihm die Freude daran nicht verderben.
»Gibt es noch mehr davon?« fragte sie dann.
»Natürlich, ich hole ihnen auch einen.«
Er entfernte sich ein paar Schritte vom Zelt und ging zu einer kleinen Feuerstelle, die gerade dabei war, auszugehen. Eine verbeulte Blechkanne stand noch in der Glut, und er schenkte ihr einen Becher voll ein und brachte ihn zum Zelt. Dankend nahm sie den Kaffee entgegen und blickte sich dann suchend um. Im Lager unter den Bäumen war es ziemlich still.
»Wo sind denn alle?«
»Sie sind schon lange wach und ... unterwegs. Ja, unterwegs.«
»Und mein Mündel? Rachel?«
»Das weiß ich nicht genau, Mrs. Tremaine. Sie ist ganz früh aufgestanden und zum Bach hinuntergegangen. Danach hat sie, glaube ich, ein paar Sachen sortiert, die Sie in Ihren Satteltaschen mitgebracht hatten.«
»Aha ... Es gibt hier in der Nähe also einen Bach, sagen Sie?«
»Ja, da entlang, Mrs. Tremaine.«
Erstaunt zog sie eine Augenbraue hoch und fragte: »Darf ich denn überhaupt allein dahin gehen?«
»Natürlich, Ma'am.« Er zögerte und räusperte sich, bevor er weitersprach: »Zu dieser Tageszeit haben Sie den Bach ganz für sich allein, Ma'am. Es ist ein schönes Plätzchen. Die Soldaten lieben es. Es gibt viele Bäume, die Schatten spenden, und kühles Wasser. Das nimmt dem Krieg ein wenig die Hitze und läßt einen Mann eine Zeitlang vergessen, daß er sonst immer nur kämpfen muß. Ein wirklich nettes Plätzchen. Schade, daß wir dort nicht auf die Yankees treffen können. Das würde die Gemüter abkühlen und vielleicht sogar dem Kämpfen ein Ende machen - wie von Zauberhand.«
»Ist es wirklich so schön dort?« wollte Rhiannon wissen, die bei seiner überschwenglichen Beschreibung unwillkürlich lächeln mußte. Er schien tatsächlich überzeugt von dem zu sein, was er sagte.
»Das ist es, Ma'am, und es gehört Ihnen ganz allein. Ich sorge schon dafür.«
»Und es geht auch wirklich in Ordnung, daß ich ohne Aufpasser dahin gehe?«
»Natürlich.«
Sie mußte wohl sehr skeptisch dreingesehen haben, denn nun fügte er grinsend hinzu: »Falls Sie sich hier noch nicht so richtig auskennen, Ma'am: Es gibt nur diesen einen Pfad, der zum Bach und wieder zurück führt. Auf der anderen Seite ist nichts als Kiefernwald, ganz dicht und schwarz wie die Nacht.«
»Schön, vielen Dank, Sie haben mich überredet. Ich werde also baden gehen, und danach, Mr. Anderson, würde ich Sie bitten, daß Sie mir dabei
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