Sieg des Herzens
sagte sie laut, und da es so dunkel war, daß sie ihn nicht sehen konnte, fragte sie sich, ob sie sich das alles nicht nur einbildete. Ob sie sich nicht einfach so sehr gewünscht hatte, daß er herkam, weil sie nicht den Mut hatte, der Nacht allein entgegenzutreten. Aber, nein ... sie träumte nicht, er war tatsächlich da. Nach dem Regen war er herübergekommen, weil er sich wohl schon gedacht hatte, daß sie noch wach lag ... und von ihren Entzugserscheinungen gepeinigt wurde.
»Es wird bald vorbei sein.«
Mit Tränen in den Augen stammelte sie: »Aber du hast doch gesagt, daß es schon heute nacht nicht mehr so schlimm sein wird...«
»Es ist auch besser geworden. Das weißt du nur jetzt noch nicht.«
»Es ist alles so dunkel.«
»Es ist eine dunkle Nacht.«
»Rachel...«
»Rachel geht es gut, sie schläft.«
»Ich kann es nicht aushalten.«
»Doch, das kannst du, du mußt, und bald wird es dir auch bessergehen...«
Er hielt sie fest, wiegte sie eine Weile in den Armen, bevor er sie dann sacht wieder aufs Bett legte.
»Mein Magen, mir ... ich muß mich gleich übergeben.«
»Versuch, tief zu atmen. Ganz tief.«
Langsam beruhigte sich ihr Magen, und sie mußte sich nicht übergeben. Sanft strich er ihr die Haare aus der Stirn. Die Nacht kam wieder über sie; aber die Dunkelheit schien jetzt nicht mehr bedrohlich, sondern wie eine weiche Zudecke. Während der Wind leise über das Zelt strich und ihre heiße Stirn kühlte, schloß sie ganz entspannt die Augen und glitt sogleich in einen leichten Schlaf. Als sie spürte, wie er sich bewegte, stellte sie fest, daß sie seinen Arm die ganze Zeit festgehalten hatte, und lockerte ihren Griff.
»Bitte laß mich nicht allein!«
Sie wußte nicht, ob sie die Worte tatsächlich ausgesprochen hatte oder ob der Wunsch nur in ihren Gedanken existierte. Julian erstarrte in der Bewegung, legte sich dann aber zu ihr aufs Feldbett, wobei er sie eng an sich zog. Sie spürte sein Baumwollhemd an ihren bloßen Armen, während er sie fest umschlungen hielt, und genoß seine wunderbare Nähe und die Wärme und Lebendigkeit, die von seinem Körper ausging. Wieder überlief sie dieses Zittern, und er umfaßte sie noch ein wenig fester, während sie sich dankbar an ihn kuschelte.
»Denk daran, Yankee, wenn du es morgen wieder nicht erwarten kannst, mir eine Abfuhr zu erteilen.«
»Du hast es eben selbst gesagt...«, murmelte sie.
»Was?«
»Yankee. Ich bin eine Yankee. Und wenn der Morgen kommt, bist du der Feind.«
»Aber jetzt ist es Nacht, nicht wahr, und im Dunkeln sind wohl alle Katzen grau?«
»Bin ich die Katze oder du?« fragte sie schläfrig.
»Das ist manchmal nur schwer zu sagen«, murmelte er leise.
Um nicht laut sagen zu müssen, was ihr auf der Zunge lag, biß sie sich auf die Unterlippe. Denn ihrer Meinung nach war es überhaupt nicht schwer zu entscheiden, wer die Katze war. Sie lernte ihn von Tag zu Tag besser kennen und stellte langsam fest, daß sie ihn brauchte und sich nach seiner Stimme sehnte ... wie ein Kätzchen nach seinem Herrn.
»Es hat wohl wirklich etwas mit der Dunkelheit zu tun«, sagte sie dann nur, obwohl sie unbedingt wollte, daß er bei ihr blieb, und große Angst davor hatte, allein gelassen zu werden. Er war es, der stark genug war, sie durch diese Dunkelheit zu führen - er war alles, was sie hatte. Sacht legte sie die Finger über seine Hände und drückte sie, als ob sie ihn dadurch zurückhalten könnte, falls er tatsächlich Vorhaben sollte zu gehen.
Ob die Wache noch draußen stand, überlegte sie dann. Was mochte Corporal Lyle wohl gedacht haben, falls er noch dagewesen sein sollte, um zu beobachten, wie sein Colonel in ihr Zelt schlüpfte ... Aber eigentlich war es ihr ganz egal - wenn Julian nur neben ihr lag. Es ging ihr schon wieder ein wenig besser - genau wie er gesagt hatte. Beruhigt schloß sie die Augen und entspannte sich. Sie war bald wieder eingeschlafen ... und träumte.
Da war ein Schiff, das auf den Wogen des Meeres hin-und hergeschaukelt wurde und auf das der Regen hemiederprasselte. Eine Flußmündung bot ein wenig Schutz, aber selbst dort wurde das stolze Schiff schwer gebeutelt. Dann sah sie ein Gesicht, das sich schemenhaft gegen weiße Laken abhob und von Schweiß glänzte. Dunkles Haar umrahmte es, und der Kopf rollte hin und her. Es war sein Gesicht - Julians...
Nein, nicht Julians...
Ein Blitz zuckte über den Himmel, und Rhiannon konnte den Raum erkennen, in dem der Mann lag. Es war eine
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