Sieg des Herzens
werden. Sie spinnt unsichtbare Fäden, um die Unvorsichtigen einzufangen. Hast du etwa schon mal eine Frau gesehen, der Schwarz so gut steht?«
»Tia, sie ist in Trauer!«
»Sind wir das nicht alle?«
»Nicht so wie Mrs. Tremaine.«
»Trotzdem, Julian, sei vorsichtig!« entgegnete sie ihm und fuhr halb im Ernst, halb im Scherz fort: »Wenn sie wirklich eine Hexe ist - wie so viele behaupten -, dann kann sie genausogut einen Sirenenzauber über die Männer legen, die um sie herum sind. Sei gewarnt! Unser aller Schicksal liegt in deinen Händen!«
»Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob heutzutage überhaupt noch irgend jemand sein Schicksal in der Hand hat«, entgegnete Julian trocken.
»Du verstehst immer noch nicht, was ich sagen will. Natürlich sehe ich all das von der Warte einer Frau aus«, sagte Tia seufzend und warnte ihn dann noch einmal mit erhobenem Finger: »Sei vorsichtig! Du darfst ihr nicht vertrauen. Und wenn Jerome hergebracht wird, paß genau auf, was sie mit ihm macht. Und paß auch auf dich selbst auf. Und sieh zu, daß sie nicht rauskriegt, wie man aus dem Camp flieht und zu den Yankees kommt.«
»Nun gut, ich nehme mir deine Sicht der Dinge - die einer Frau! - zu Herzen und werde auf der Hut sein, das schwöre ich.«
Tia lächelte und sagte: »Mach dich nur über mich lustig! Wenn du mir jetzt nicht glaubst, wirst du es eines Tages bitter bereuen!«
Die Beleidigte spielend, warf sie den Kopf in den Nacken und ließ ihn stehen. Während er ihr nachsah, mußte er unwillkürlich lächeln. Er war froh, daß sie sich bereit erklärt hatte, mit ihm zu arbeiten. Sie hatten zusammen schon eine Menge Hürden genommen. Dann versiegte sein Lächeln, und er überlegte, ob Tia wohl recht hatte mit dem, was Rhiannon betraf. Dachte er wirklich mit dem falschen Körperteil? Er schüttelte den Kopf, als könne er dadurch auch diesen Gedanken von sich abschütteln.
Dann registrierte er zum erstenmal an diesem Abend die kühle Brise, die ihn umgab - das sanfte Streicheln der Nacht. Was war das hier nur für ein friedliches Plätzchen in all dem Chaos! Sacht hörte er das Wasser plätschern, und ihm wurde bewußt, daß er in dieser Nacht wieder Herr seiner Sinne war. Er würde alles hören, fühlen und wahrnehmen können. Es war alles so klar. Alles!
Und Tia hatte unrecht. Er wußte genau, was er tat. Ihm war durchaus bewußt, daß Rhiannon der Feind war, und er würde vorsichtig sein, so wie er sich auch schon zuvor zur Vorsicht gemahnt hatte. Er hatte nie daran gezweifelt, daß ihm Rhiannon auch weiterhin feindlich gesonnen bleiben würde.
Und trotzdem ...
Gerade jetzt hatte er ein ganz merkwürdiges Gefühl. Er hatte sie gezwungen, mit ihm zu kommen, weil er um ihr Leben fürchtete. In gewisser Weise lag Tia da wohl doch nicht so falsch: Rhiannon faszinierte ihn irgendwie. Als ob sie tatsächlich ganz feine Fäden gesponnen hätte, um ihm dann ein undurchdringliches Netz überzuwerfen. Nein, das stimmte nicht. Sie hatte einfach nur Hilfe gebraucht. Aber er hatte nun plötzlich auch den Eindruck, daß er sie brauchte und hier bei sich haben wollte. Er hatte gesehen, wie sie mit Paddys Verletzung umgegangen war. Nur ganz wenige Frauen und Männer konnten so geschickt eine Wunde säubern und kannten sich so gut mit Verletzungen und Medizin aus.
Ob sie wohl tatsächlich eine Hexe war? Wie er so dastand und dem Rauschen des Wassers lauschte und den angenehm frischen Windhauch auf der Haut spürte, kam es ihm beinah so vor, als sei das alles Vorsehung gewesen ...
Dann schnaubte er verächtlich in die Dunkelheit hinein und machte sich darüber lustig, daß er sich zu derartigen Gedanken hatte hinreißen lassen. Verwundert über sich selbst schüttelte er den Kopf und verließ dann die friedliche Stille der Wiese am Bach. Er brauchte unbedingt ein bißchen Schlaf. Jetzt war er wieder in seinem Camp und in Sicherheit. Diese Nacht würde er schlafen können.
Aber konnte er das wirklich? Er würde niemals Schlaf finden, bevor er sie nicht noch einmal gesehen hatte. Aber die Nacht war ja noch jung.
9
Digby war ein netter junger Mann und offensichtlich ganz entzückt von Rachel, die von ihm wiederum geradezu hingerissen schien. So hielt ihr Mündel es also mit seiner Loyalität zu den Unionstruppen, dachte Rhiannon. Aber sie waren nun einmal hier, in diesem Rebellencamp, und im Augenblick blieb ihnen kaum etwas anderes übrig, als das Beste daraus zu machen.
Rhiannon ging davon aus, daß nicht mehr als
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