Siegel der Nacht: Mercy Thompson 6 - Roman (German Edition)
Zähnen.
Wir verließen das Haus und Stefan musterte die Überreste seines Rasens. Neben seinem Bus hielt er kurz an, schüttelte den Kopf und folgte mir dann zu meinem Auto. Er sagte nichts mehr, bis wir schon auf dem Highway neben dem Columbia River waren.
»Alte Vampire neigen zu Stimmungsschwankungen«, erklärte er mir. »Wir kommen nicht so gut mit Veränderungen klar wie zu der Zeit, als wir noch Menschen waren.«
»Ich bin in einem Werwolfrudel aufgewachsen«, erinnerte ich ihn. »Alte Wölfe gehen auch nicht gerade gut mit Veränderungen um.« Dann fügte ich, nur für den Fall, dass er dachte, ich hätte Mitleid mit ihm, noch hinzu: »Natürlich ziehen sie gewöhnlich nicht noch eine ganze Gruppe von Leuten mit in die Tiefe.«
»Tun sie nicht?«, murmelte er. »Seltsam. Ich dachte, Samuel hätte fast eine ganze Menge Leute mitgenommen.«
Ich schaltete einen Gang runter und überholte eine Großmutter, die in einer Sechziger-Zone gerade mal Fünfzig fuhr. Als das Röhren des kleinen Dieselmotors meines Golfs meine Wut genug abgekühlt hatte, schaltete ich wieder hoch und sagte: »Punkt für dich. Du hast Recht. Es tut mir leid, dass ich nicht früher gekommen bin.«
»Ah«, sagte Stefan und starrte auf seine Hände. »Hätte ich dich gerufen, wärst du gekommen.«
»Wärst du in der Verfassung gewesen, nach Hilfe zu rufen«, entgegnete ich, »hättest du sie wahrscheinlich nicht gebraucht.«
»Also«, sagte er dann, um das Thema zu wechseln. »Was schauen wir uns heute Abend an?«
»Ich weiß es nicht. Warren ist dran mit aussuchen und er ist ein wenig unvorhersehbar. Das letzte Mal, als er den Film ausgewählt hat, haben wir die Nosferatu -Version von 1922 geschaut und davor war es Lost in Space.«
»Ich mochte Lost in Space«, sagte Stefan.
»Den Film oder die Serie?«
»Den Film? Stimmt. Den Film hatte ich ganz vergessen«, sagte er ernüchtert. »Und es war besser so.«
»Manchmal ist Unwissenheit wirklich ein Segen.«
Er sah mich an, dann runzelte er die Stirn. »Orangensaft hilft gegen das Kopfweh.«
Also stand ich gerade in der Reihe im Drive-in und hatte auf Stefans Drängen zwei Orangensaft und einen Burger bestellt, als mein Handy wieder klingelte. Ich nahm an, dass Darryl sich wieder aufregen wollte, also ging ich dran, ohne auf das Display zu schauen. Irgendwann werde ich endlich damit aufhören.
»Mercy«, sagte meine Mutter. »Ich bin ja so froh, dass
ich dich erreicht habe. In letzter Zeit war das ziemlich schwierig. Ich muss dir sagen, ich habe wirklich Probleme wegen der weißen Tauben. Ich kann jemanden finden, der normale Tauben hat, aber der Mann, der die weißen Tauben hatte, ist einfach verschwunden. Ich habe heute rausgefunden, dass er anscheinend auch Kampfhunde gehalten hat und jetzt ein paar Jahre hinter Gittern sitzt.«
Plötzlich wurden meine Kopfschmerzen um einiges schlimmer. »Tauben?« Ich hatte ihr gesagt: keine Tauben. Tauben und Werwölfe sind … Auf jeden Fall hatte ich ihr gesagt: keine Tauben.
»Für deine Hochzeit«, erklärte meine Mutter ungeduldig. »Du weißt schon, die im August? Es sind nur noch sechs Wochen bis dahin. Ich dachte, ich hätte die Tauben unter Kontrolle …« – ich war mir sicher, dass ich eine klare Keine-Tauben-Regel aufgestellt hatte – »aber na ja, ich will sowieso niemandem Geld geben, der in Hundekämpfe verwickelt ist. Aber vielleicht macht es Adam ja nichts aus?«
»Doch, es würde Adam etwas ausmachen«, sagte ich. »Und mir auch. Keine Tauben, Mutter, weder weiß noch in anderen Farben. Keine Kampfhunde.«
»Oh, gut«, sagte sie fröhlich. »Ich hatte mir schon gedacht, dass du zustimmst. Die Idee stammt schließlich aus einer indianischen Legende.«
»Was?«
»Schmetterlinge«, sagte sie unbekümmert. »Es wird wunderschön. Stell es dir vor. Wir könnten außerdem noch Ballons steigen lassen. Vielleicht ein paar hundert. Schmetterlinge und goldene Ballons steigen in den Himmel, um euer neues gemeinsames Leben zu feiern. Na ja«,
sagte sie dann mit entschlossener Stimme, »ich fange besser an zu organisieren.«
Sie legte auf und ich starrte mein Handy an. Stefan war prustend auf dem Beifahrersitz zusammengebrochen.
»Schmetterlinge«, presste er zwischen hilflosen Lachkrämpfen hervor. »Ich frage mich, wo sie Schmetterlinge gefunden hat?«
»Lach du nur«, sagte ich. »Du musst ja nicht einem Rudel Werwölfe erklären, warum deine Mutter Schmetterlinge freilässt …« Er fing wieder an zu lachen. Es
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