Siegfried
und in gewisser Weise stimmte das. Die großen Brüste, die sie jetzt plötzlich hatte, mußte Julia ihr nach dem Stillen mit einem seidenen Schal schnüren; außerdem trug sie weite Wollpullover, denn auf dem Berghof war es kalt im Vergleich zu Sizilien, wo sie vor kurzem noch den Vesuv bestiegen hatte. Falk erzählte, Speer habe beim Begrüßungsessen verwundert wiederholt: »Der Vesuv? Auf Sizilien? Sie meinen natürlich den Ätna.« Natürlich, den Ätna, hatte Fräulein Braun errötend gesagt, der Vesuv, der Ätna … die verwechsle sie immer. Woraufhin der Chef zwischen zwei Bissen von seinem aus Gemüse zusammengesetzten Schnitzelersatz sagte, diese beiden Vulkane seien in gewisser Weise die Erscheinungsformen ein und desselben Urvulkans, genau wie er selbst und Napoleon.
12
Es klopfte erneut, doch diesmal öffnete sich die Tür erst, nachdem Julia »Herein« gerufen hatte. Eine gedrungene Frau zwischen Vierzig und Fünfzig mit Waden wie umgedrehte Champagnerflaschen, trat ins Zimmer.
»Herr Herter«, stellte Falk ihn vor. »Frau Brandtstätter. Frau Brandtstätter ist unsere Direktorin.« Herter stand auf und gab ihr die Hand, woraufhin sie ihn ein paar Sekunden lang erstaunt ansah, als sei er der letzte, den sie erwartet hätte. »Hab ich Sie nicht vorgestern im Fernsehen gesehen?«
Herter war sofort klar, daß er sich auf der Stelle eine Erklärung für seine Anwesenheit einfallen lassen mußte. Was machte ein berühmter ausländischer Schriftsteller, der sogar im Fernsehen interviewt wurde, bei diesem armen alten Ehepaar in ihrem Altersheim im hintersten Winkel Wiens? Das mußte ihr dubios erscheinen; vermutlich wußte sie, wer da bei ihr wohnte – auch wenn sie nicht wußte, was er nun wußte –, und wollte die beiden beschützen.
»Genau wie Herr und Frau Falk. Wir frischen alte Erinnerungen auf. Herr und Frau Falk sind zu meiner Lesung gekommen, um in Erfahrung zu bringen, ob ich der junge Schriftsteller bin, den sie vor vierzig Jahren einmal zufällig kennengelernt haben.«
»Und?« fragte die Direktorin, während sie von einem zum anderen sah.
»Ich ändere mich nie«, sagte Herter mit so etwas Ähnlichem wie einem Lächeln. Sie sagte, sie wolle nicht weiter stören, und verabschiedete sich, ohne zu erwähnen, weswegen sie eigentlich gekommen war.
»Falls Frau Brandtstätter noch fragen sollte, wie wir uns kennengelernt haben«, sagte Herter, nachdem sie gegangen war, »müssen Sie sich selbst etwas einfallen lassen. Ich weiß nicht, wie Ihre Lebensumstände vor vierzig Jahren waren.« »Die waren damals wieder recht gut«, sagte Falk, »nachdem sie eine Zeitlang weniger gut gewesen waren. Nach dem Krieg haben wir zwei Jahre in einem amerikanischen Internierungslager gesessen.«
Julia stand auf, drückte ihre Zigarette aus und fragte:
»Möchten Sie vielleicht ein Butterbrot? Es ist mir unangenehm, daß wir Sie so lange aufhalten.« Herter sah auf seine Uhr. Viertel vor eins. Eigentlich müßte er wohl Maria kurz anrufen, doch es erschien ihm nicht klug, die Intimität der Atmosphäre zu zerstören.
»Ja, gerne. Es wäre doch merkwürdig, wenn ich sagte, es würde nun langsam Zeit für mich zu gehen, jetzt, wo ich erfahren habe, daß Hitler einen Sohn hatte. Wissen Sie, was für eine Sensation Sie mir da erzählt haben? Wenn Sie diese Geschichte dem Spiegel und zehn anderen Magazinen auf der ganzen Welt angeboten hätten, man hätte Ihnen Millionen dafür gegeben. Dann würden Sie nicht in einem kleinen Apartment in Eben Haëzer wohnen, sondern in einer Villa so groß wie der Berghof, mit eigenem Personal.«
Falks Blick wurde plötzlich irgendwie kühl.
»Dasselbe gilt für Sie. Aber auch Sie haben vorhin einen Eid geschworen.« Mit nicht einmal gespielter Scham neigte Herter kurz den Kopf. Falk hatte ihm einen Rüffel verpaßt. Und überhaupt: Wer würde ihm glauben? Und nach dem Tod der Falks, ohne Zeugen, würde seine Geschichte noch unglaubwürdiger sein. Man würde ihn wegen seiner Phantasie loben, und vielleicht bekäme er wieder einen Literaturpreis, doch glauben würde ihm niemand.
»Außerdem«, sagte Falk, »haben Sie bisher nicht einmal die Hälfte der Geschichte gehört.« In der Küche preßte Julia mit der linken Hand ein großes rundes Brot gegen ihre Brust und schnitt mit einem langen Messer dünne Scheiben auf eine Weise ab, die ihn erschaudern ließ. Nirgendwo auf der Welt rückte man dem Brot so zu Leibe. Sie schenkte ihm auch ein Glas Bier ein, und als er in die mit
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