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Siegfried

Siegfried

Titel: Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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lassen. Goebbels fände, auch sie müßten untergehen, denn die Nachfahren hätten kein Recht auf dieses glänzende Orchester. Und wenn das der Führer erfährt? fragte ich. Dann würde er ihn daran erinnern, sagte er, ohne mich anzusehen, daß er selbst früher den gleichen Trick angewandt habe, um befreundete Künstler vor dem Militärdienst zu bewahren. Speer ist der einzige, der keine Angst vor dem Chef hat so wie die andern, und der Chef weiß nicht, wie er darauf reagieren soll. Vor kurzem scheint Adi den sogenannten »Nero-Befehl« gegeben zu haben, der besagt, daß die Truppen überall verbrannte Erde zurücklassen sollen: Alles, was das deutsche Volk zum Überleben braucht, soll vernichtet werden, alle Fabriken, Häfen, Eisenbahnlinien, Nahrungsvorräte, Einwohnerregister, alles, aber auch wirklich alles, was man braucht, um unter noch so primitiven Umständen zu überleben, denn es habe sich gezeigt, daß das deutsche Volk den Völkern im Osten unterlegen ist, und deshalb habe es sein Daseinsrecht verspielt. Von den Sekretärinnen höre ich, Speer sei anschließend durch ganz Deutschland gereist, um überall den Gegenbefehl zu geben, und daß er dies auch Hitler gemeldet hat. Jeder andere hätte auch nur für einen Bruchteil dieses Sabotageaktes sofort die Kugel bekommen, aber Speer wurde nicht einmal entlassen. Es ist ein Wunder. Er ist ein Held und zweifellos der Anständigste in der ganzen Clique, die dem Chef das Leben sauer macht. Ich weiß nicht, irgendwie sind sie verliebt ineinander, die beiden – vielleicht ist das die Verbindung, die ich zu Speer habe, wir bilden eine Art Dreieinigkeit. Manchmal denke ich, daß Adi ihn mehr liebt als mich. Ich überlegte, ob ich Speer erzählen sollte, daß auch ich vor einiger Zeit Erfahrungen im Beschwindeln der Behörden gemacht habe, doch dann hätte ich Siggi erwähnen müssen, und das traute ich mich nicht.
    In unseren Mänteln, mit den Lämpchen auf den Pulten der Musiker als einzige Beleuchtung, lauschten wir im ausverkauften Beethovensaal der Musik, während wir zugleich wußten, daß die Verdammnis von Minute zu Minute näherrückte. Ich hatte den Eindruck, die makabre Situation amüsierte Speer; während des ganzen Konzerts umspielte ein überlegenes Lächeln seinen Mund. Am Schluß standen Hitlerjungen an den Ausgängen und verteilten gratis Zyankalikapseln. Im Bett lange an Siggi gedacht.

    18. IV. 45
    Gereizte Stimmung hier unten, immer verzweifelter ein und aus gehende Generäle, die keine Armeen mehr haben und die wieder vollständig aufleben, wenn der Führer ihnen neue Armeen verspricht, die es natürlich überhaupt nicht gibt, während er eigentlich nur noch über das Essen, seine Leiden und die Schlechtigkeit der Welt reden möchte, in der ihn alle verraten, außer Blondi und mir. Ich habe keine Ahnung, was sich dort alles abspielt, und ehrlich gesagt, es interessiert mich auch nicht; aber ich langweile mich noch mehr als im Sanatorium. Um mir die Zeit zu vertreiben, werde ich deshalb aufschreiben, was mir in den letzten Monaten alles widerfahren ist und was ich weiß. Niemand wird dies je lesen, denn ich werde es natürlich beizeiten verschwinden lassen. Man stelle sich nur vor, dieses Heft fiele den Russen in die Hände.
    An jenem Tag im September wurde ich, nachdem ich auf dem Berghof Abschied von Siggi genommen hatte, gar nicht nach Salzburg gebracht, um zum Führer in die Wolfsschanze zu fliegen; wir fuhren in eine ganz andere Richtung. Als ich den neben dem Chauffeur sitzenden GestapoMann fragte, was das alles sollte, erhielt ich keine Antwort, und mir dämmerte, daß es nichts Gutes zu bedeuten hatte. Ich wurde nach Bad Tölz gebracht und dort in eine Art Sanatorium eingeliefert, das von hohen Mauern umgeben war. Mir war klar, daß ich jetzt ganz ruhig bleiben mußte und nicht hysterisch brüllen durfte, ich sei die Freundin des Führers und die Mutter seines Kindes, denn das würde alle nur in der Überzeugung be stärken, daß ich geisteskrank wäre. Die Hunde durfte ich bei mir behalten, offenbar wußte man doch, daß ich kein gewöhnlicher Patient war. Ich wollte natürlich auf der Stelle Adi anrufen, aber das wurde mir verboten.
    Der Gestapobeamte blieb als Wache im Sanatorium; offenbar hatte er den Befehl, kein Wort mit mir zu reden. Weil ich unter Hausarrest stand, ging er ein paarmal am Tag mit Stasi und Negus raus. Das Personal war sehr freundlich, das Essen gut, doch niemand sagte mir, was los war. Obwohl ich wußte, daß

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