Sieh dich nicht um
»Kit hat bestimmt Verständnis dafür.«
Sie hängte ein. Dann lag sie in der Dunkelheit da und versuchte, sich zu beruhigen und wieder einzuschlafen. Aber sie ertappte sich dabei, daß sie lauschte. Sie wartete auf einen
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Schrei und das Geräusch hastender Schritte, die immer näher kamen.
Caldwells Schritte.
Bevor sie einschlief, mußte sie an etwas denken, das Jay vorhin am Telephon gesagt hatte: Es sei niemals gut, Zeuge eines Verbrechens zu sein. Was hatte er damit gemeint?
Nachdem sich Rick von Lacey in der Eingangshalle ihres Hauses verabschiedet hatte, fuhr er mit dem Taxi in seine Wohnung, Ecke Central Park West und 67. Straße. Er wußte, was ihn dort erwartete, und ihm graute davor. Inzwischen berichteten die Nachrichten sicher schon über Isabelle Warings Tod. Als sie aus dem Haus gekommen waren, hatten sich auf der Straße bereits die Reporter gedrängt. Wahrscheinlich hatte eine Kamera ihn und Lacey beim Einsteigen ins Polizeiauto erwischt.
Und wenn ja, wußte sein Vater schon Bescheid. Er sah sich nämlich immer die Zehn-Uhr-Nachrichten an. Rick warf einen Blick auf die Uhr: Viertel vor elf.
Wie er vermutet hatte, blinkte das Lämpchen an seinem Anrufbeantworter, als er seine dunkle Wohnung betrat. Er drückte auf PLAY. Die Nachricht war tatsächlich von seinem Vater: »Egal, wann du nach Hause kommst, ruf mich an!«
Rick hatte so feuchte Hände, daß er sie erst mit einem Taschentuch abwischen mußte, ehe er zum Hörer griff. Sein Vater hob nach dem ersten Läuten ab.
»Bevor du fragst«, sprudelte Rick mit gepreßter Stimme los,
»mir blieb nichts anderes übrig. Ich mußte hin, denn Lacey hatte der Polizei gesagt, ich hätte ihr Caldwells Nummer gegeben.
Deshalb hat man mich kommen lassen.«
Rick hörte sich die Standpauke seines Vaters eine Weile an, bis er endlich den Mut faßte, ihm ins Wort zu fallen: »Dad, ich hab dir doch gesagt, daß du dir darüber nicht den Kopf zu zerbrechen brauc hst. Alles ist okay. Niemand weiß, was
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zwischen mir und Heather Landi passiert ist.«
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4
Sandy Savarano, den Lacey unter dem Namen Curtis Caldwell kennengelernt hatte, war nach seiner wilden Flucht aus Isabelle Warings Wohnung die Feuertreppe hinunter in den Keller gelaufen. Durch den Lieferanteneingang hatte er das Haus verlassen. Das war zwar gefährlich, aber manchmal mußte man eben ein Risiko eingehen.
Die Ledermappe unterm Arm, eilte er zur Madison Avenue.
Dort hielt er ein Taxi an und ließ sich zu dem kleinen Hotel in der 29. Straße fahren, wo er wohnte. In seinem Zimmer angekommen, warf er die Mappe aufs Bett und schenkte sich zuerst einmal ein großes Glas Whisky ein. Die erste Hälfte kippte er hinunter, den Rest wollte er langsam genießen – ein Ritual, das er sich nach jedem Auftrag gönnte.
Das Glas in der einen Hand, griff er nach der Mappe und ließ sich in dem einzigen Polstersessel nieder, den das Hotelzimmer zu bieten hatte. Bis auf das Fiasko am Ende war der Job ein Kinderspiel gewesen: Er hatte das Gebäude unbemerkt betreten, denn der Pförtner war gerade damit beschäftigt gewesen, einer alten Dame ins Taxi zu helfen. Den Schlüssel zur Wohnung hatte er schon am Nachmittag vom Tisch im Flur gestohlen, als Lacey Farrell bei Mrs. Waring in der Bibliothek gewesen war.
Isabelle hatte mit geschlossenen Augen im Schlafzimmer auf dem Bett gelegen. Die Ledermappe lag neben ihr auf dem Nachttisch. Als sie ihn bemerkte, sprang sie auf und versuchte zu fliehen. Aber er versperrte ihr den Weg zur Tür.
Sie hatte nicht geschrien. Nein, dazu hatte sie zu große Angst gehabt. Das gefiel ihm am besten: die nackte Angst in ihren Augen und die Gewißheit, daß es kein Entrinnen gab. Die Erkenntnis, daß sie sterben würde. Er genoß diesen Moment.
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Ihm machte es Spaß, langsam die Pistole aus der Tasche zu ziehen, dem Opfer in die Augen zu blicken, während er anlegte und in aller Seelenruhe zielte. Das Knistern zwischen ihm und dem Opfer, in dem Sekundenbruchteil, bevor sich sein Finger um den Abzug krümmte, erregte ihn.
Er dachte daran, wie Isabelle vor ihm zurückgewichen war.
Sie kletterte wieder aufs Bett und preßte sich an das Kopfbrett.
Sie bemühte sich zu sprechen. Und dann der Schrei: »Nicht!« –
der plötzlich mit der Stimme einer Frau verschmolz, die von unten nach ihr rief –, genau in dem Moment, als er sie erschoß.
Ärgerlich trommelte Savarano mit den Fingern auf die Ledermappe. Ausgerechnet in dem Moment war die Farrell
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