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Sieh dich nicht um

Sieh dich nicht um

Titel: Sieh dich nicht um Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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klebte an den Seiten. Ich darf es nicht aus der Hand geben, dachte sie verzweifelt.
    Unten in der Eingangshalle kam ein junger Polizist auf sie zu.
    »Ich fahre Sie, Miss Farrell. Detective Sloane möchte, daß Sie wohlbehalten nach Hause kommen.«

    Lacey wohnte in der East End Avenue, Ecke 79. Straße. Rick wollte unbedingt mit nach oben kommen, aber sie lehnte ab.
    »Ich gehe sofort ins Bett«, sagte sie und schüttelte nur den Kopf, als er widersprach, sie sollte jetzt besser nicht allein sein.
    »Dann ruf ich dich gleich morgen früh an«, sagte er.
    Laceys Wohnung lag im siebten Stock. Im Aufzug war sie allein, und es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie oben angelangt war. Der Flur erinnerte sie an den vor Isabelles Wohnung, und sie sah sich ängstlich um, bevor sie zu ihrer Tür rannte.
    In ihrer Wohnung angekommen, schob sie zuerst den Aktenkoffer unters Sofa. Vom Wohnzimmerfenster aus konnte man den East River sehen. Lange Zeit stand Lacey da und betrachtete die flackernden Lichter auf dem Wasser. Obwohl sie vor Kälte zitterte, öffnete sie schließlich das Fenster und atmete in tiefen Zügen die frische Nachtluft ein. Allmählich legte sich das unwirkliche Gefühl, das sich während der letzten Stunden
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    ihrer bemächtigt hatte. Erst jetzt bemerkte sie, daß sie so müde war wie noch nie in ihrem Leben. Sie drehte sich um und sah auf die Uhr.
    Halb elf. Erst vor gut vierundzwanzig Stunden hatte sie keine Lust gehabt, ans Telephon zu gehen, als Isabelle anrief. Und nun würde Isabelle nie wieder anrufen…
    Lacey erstarrte. Die Tür! Hatte sie auch zweimal abgeschlossen? Sie rannte hin, um nachzusehen.
    Ja, alles in Ordnung. Aber sie schob zusätzlich den Riegel vor und klemmte einen Stuhl unter die Türklinke. Ich habe Angst, dachte sie, und meine Hände sind klebrig – von Isabelle Warings Blut.
    Für New Yorker Verhältnisse war das Bad ziemlich geräumig.
    Als Lacey vor zwei Jahren alles renoviert hatte, hatte sie einen großzügigen Whirlpool einbauen lassen. Diese Investition hatte sich wirklich gelohnt, dachte sie, als das dampfende Wasser den Spiegel beschlug.
    Sie zog sich aus und warf die Kleiderstücke auf den Boden.
    Mit einem erleichterten Seufzer ließ sie sich ins warme Wasser sinken, hielt die Hände unter den Hahn, schrubbte sie kräftig und schaltete schließlich die Düsen ein.
    Erst nachdem sie sich gemütlich in einen Frotteebademantel gewickelt hatte, dachte sie wieder an die blutigen Papiere in ihrem Aktenkoffer.
    Nicht jetzt, später.
    Es gelang ihr einfach nicht, die eisige Furcht abzuschütteln, die sie schon den ganzen Abend quälte. Ihr fiel ein, daß sie noch eine Flasche Scotch in der Hausbar hatte. Sie goß ein wenig in eine Tasse, füllte die Tasse mit Wasser auf und stellte sie in die Mikrowelle. Ihr Vater hatte einmal gesagt, nichts sei besser als ein Hot Toddy, um sich aufzuwärmen. Nur daß er die klassische Version mit Nelken, Zucker und einer Zimtstange bevorzugte.
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    Doch auch ohne Gewürze erfüllte das Getränk seinen Zweck.
    Als Lacey sich ins Bett kuschelte und schlückchenweise ihre Tasse leerte, spürte sie, wie sie allmählich ruhiger wurde. Sie löschte das Licht und schlief bald ein.
    Aber schon kurz darauf fuhr sie mit einem Aufschrei hoch.
    Sie öffnete Isabelle Warings Wohnungstür. Sie beugte sich über die Leiche der Frau. Curtis Caldwell zielte mit einer Pistole auf ihren Kopf. Das Bild stand ihr deutlich vor Augen.
    Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, daß das schrille Geräusch das Klingeln des Telephons war. Immer noch zitternd, hob sie ab. Es war ihr Schwager Jay. »Wir sind gerade vom Abendessen gekommen und haben in den Nachrichten gehört, daß Isabelle Waring erschossen wurde«, sagte er. »Es hieß, es gäbe eine Zeugin, eine junge Frau, die den Mörder gesehen hat.
    Das warst doch nicht etwa du, Lacey?«
    Wie tröstlich, daß Jay sich um sie sorgte! »Doch, ich war es«, antwortete sie.
    Einen Moment herrschte Schweigen. Dann sagte Jay leise:
    »Es ist nie gut, Zeuge eines Verbrechens zu sein.«
    »Ich kann mir auch was Schöneres vorstellen!« entgegnete Lacey wütend.
    »Kit möchte mit dir sprechen.«
    »Ich kann jetzt nicht reden.« Lacey wußte genau, daß Kit sie vor lauter Liebe und Sorge mit Fragen löchern und sie zwingen würde, alles noch einmal zu erzählen. Wie sie in die Wohnung gegangen war und den Schrei gehört und Isabelles Mörder gesehen hatte.
    »Jay, ich kann jetzt einfach nicht reden!« flehte sie.

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