Sieh dich um: Thriller (German Edition)
Garabaldi nicht verhaften zu können. Draußen regnete es in Strömen, und Wasser prasselte gegen die Scheiben des Lokals und lief in verwirrenden, wirbelnden Bahnen daran herunter.
Dana starrte aus dem Fenster und stellte fest, dass sie sich in diesem Moment innerlich genauso fühlte – als würde sie die Welt durch verschwommenes Glas beobachten. Oben wirkte wie unten, Osten wie Westen, richtig wie falsch. Sie bemühte sich vergeblich, ihren moralischen Kompass darauf auszurichten, dass sie zwar Garabaldi ungeschoren ließen, obwohl er vor ihren Augen einem Mann das Gehirn weggepustet hatte, dafür jedoch den ganzen Gambino-Clan zu Fall bringen würden. Sie fühlte sich, als verfolgten sie in einer alttestamentarischen Welt, in der es Auge um Auge, Zahn um Zahn hieß, Ideale des Neuen Testaments und hielten auch noch die andere Wange hin. Der Gedanke brachte sie regelrecht um den Verstand.
Brown blies eine Dampfwolke von dem Kaffee vor ihm und sah Dana über den Tisch hinweg an. »Mir gefällt das genauso wenig wie dir, Dana«, sagte er. »Aber Befehl ist Befehl, und unser Befehl lautet, dass wir uns vorerst zurückhalten sollen. Wenn es so weit ist, kriegen wir Garabaldi. Versuch doch, deinen Kaffee zu genießen und nicht ständig daran zu denken, okay? Diese verdammten Mochaccinos kosten acht Mäuse die Tasse!«
Dana lächelte ihren Partner gezwungen an. Sie hätte ihren Kaffee liebend gern genossen, allerdings schmeckte das kostspielige Getränk wie Wasser. Fade und völlig ohne Aroma. All ihre Sinne fühlten sich im Moment so an – wie betäubt . Insbesondere ihr Gerechtigkeitssinn. Aber sie wusste, dass sie Bill Krugmans Entscheidung vertrauen musste. Wenn es der Direktor für das Beste hielt, vorläufig abzuwarten und Garabaldi in Ruhe zu lassen, dann hatte er vermutlich recht. Schließlich war er nicht deshalb an die Spitze des FBI aufgestiegen, weil er gute Beziehungen gehabt hatte. Zudem vermutete sie, dass ihre Frustration nicht allein mit dieser Ermittlung zu tun hatte. Sie konnte sich immer noch nicht ganz vom Fall des Schachbrett-Mörders trennen, ging ihn immer noch in Gedanken durch, wieder und wieder. Warum hatten sie und Brown ihn nicht lösen können? Verlor sie wirklich ihr Gespür? Dana seufzte. Sie musste sich auf den neuen Fall konzentrieren, um nicht auch dabei zu versagen. »Ich versuch’s, Jeremy«, versprach sie. »Aber einfach ist er nicht. Hast du von deinem Kollegen in Washington irgendwelche Neuigkeiten über den Schachbrett-Mörderfall?«
Brown schüttelte den Kopf. »Nichts. Er sagt, er gibt mir Bescheid, sobald neue Informationen verfügbar werden.« Er verstummte kurz und nickte in Richtung ihres Kaffees, den sie kaum angerührt hatte. »Schmeckt wohl nicht so besonders im Augenblick, wie?«
»Schmeckt momentan nach überhaupt nichts.«
»Hm. Meiner schmeckt ein wenig nach Dreck.«
»Du Glückspilz.«
Brown lachte freudlos. »Genau. Na ja, versuch trotzdem, dich nicht runterziehen zu lassen, okay? So funktioniert das System nun mal.«
»Dann ist es ein Scheiß-System.«
Brown nickte erneut. »Das kannst du laut sagen. Aber denk immer daran, dass wir die Guten sind, in Ordnung? Versuch, dich zu erinnern, dass wir das Richtige tun, auch wenn es sich im Augenblick für dich falsch anfühlt.«
Dana musste ihm zugestehen, dass er sich größte Mühe gab, sie aufzumuntern, nur funktionierte es nicht.
Eine Zeit lang versanken sie wieder in ihre eigenen Gedanken. Für Dana handelte es sich dabei um einen verregneten Tag in Cleveland vor fünfunddreißig Jahren – einen Tag, der diesem elenden Tag in New York City so sehr ähnelte, dass sie eine Gänsehaut bekam. Als wären zwei Geister durch das Fenster des Lokals hereingeschwebt und hätten sie in ihre eiskalte Umarmung gehüllt.
In ihren Gedanken saß eine vierjährige Dana am Wohnzimmertisch neben ihren Eltern James und Sara, die darüber diskutierten, dass Dana eine der kostbaren Vasen ihrer Mutter zerbrochen und ihre Eltern darüber belogen hatte.
»Schön, wenn du es nicht warst, wer hat es dann getan?«, fragte James Whitestone, während im altmodischen Fernseher in der Mitte des Wohnzimmers eine Wiederholung von Erwachsen müsste man sein lief. Der Ton war stumm geschaltet. »Deine Mutter und ich waren es jedenfalls nicht, Dana. Das engt den Kreis der Verdächtigen doch stark ein, meinst du nicht?«
Dana zuckte die schmalen Schultern, was den Saum ihres Sommerkleidchens zehn Zentimeter über die dünnen Knie
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