Sieh dich um: Thriller (German Edition)
es jemand, der überhaupt erst für ihre Existenz verantwortlich war!
Jack öffnete die Kiefer und zwang sich, ruhig zu werden. Er musste gefasst bleiben und die Wut, die sich in ihm aufgestaut hatte, für den richtigen Augenblick aufheben. Wenn es so weit war, würde er aus den Schatten hervorspringen und seine Rache mit einer Heftigkeit entfesseln, wie es die ahnungslose Welt noch nicht erlebt hatte. Nicht einmal in ihren schlimmsten Albträumen.
Don Yuntz würde Augen machen, wenn er sah, was Jack für ihn auf Lager hatte.
Der schmächtige Junge mit dem kastanienbraunen Haar atmete mehrere Male tief durch, bis er spürte, wie sich sein Puls wieder ein wenig beruhigte. So. Schon besser. Nur noch etwas länger, dann könnte er alles wieder in Ordnung bringen. Noch ein paar Stunden, und er würde die Rechnung endlich begleichen, ein für alle Mal.
Jack wusste, dass er nicht annähernd stark genug war, um seinen Vater mit Gewalt zu Fall zu bringen – noch nicht jedenfalls –, doch damit hatte er kein Problem. Stattdessen würde er seine bemerkenswerten geistigen Fähigkeiten einsetzen, um Rache an dem Spermaspender zu üben, der die Dreistigkeit besaß, sich als Vater zu bezeichnen, wenn er einmal im Jahr am Vatertag Jacks Haar zerzauste und Mollys warme Wangen küsste, nachdem sie sich Geld von ihrer Mutter geborgt hatten, um dem Mistkerl das obligatorische Old Spice -Rasierwasser zu schenken. Jacks Gehirn war schon immer sein ausgeprägtester Muskel gewesen. Seine tödlichste Waffe. Und zumindest auf dieser Ebene war Don Yuntz kein Gegner für ihn. Nicht annähernd. Es war seine Schuld, alles war seine Schuld, und er würde dafür bezahlen. Dafür würde Jack sorgen.
Er schüttelte den Kopf, sah sich erneut in dem kleinen Zimmer um und zählte die Dinge, die ihm etwas bedeuteten. Leider ging die Bestandsaufnahme blitzschnell, denn es gab nicht viel zu zählen.
An erster Stelle kam natürlich Molly. So war es immer gewesen, und so würde es immer sein. Doch was blieb Jack abgesehen von seiner kleinen Schwester? Nicht viel. Vor allem nicht nach der Art und Weise, wie ihr Vater seine arme Mutter betrogen hatte – schlimmer als der verfluchte, habgierige Judas im wunderbarsten Buch, das jemals geschrieben worden war, Jesus verraten hatte.
Jack knackte angewidert mit den Knöcheln und schluckte die frische Galle herunter, die erneut in ihm aufgestiegen war. Obwohl er sehr religiös erzogen worden war – vorwiegend dank seiner Mutter, die selbst so aufgewachsen war –, verspürte er nicht die geringsten Gewissensbisse wegen etwas, das er früher zweifellos als unverzeihlichen Akt der Ketzerei betrachtet hätte, für den als Strafe nur der Tod infrage kam. Jack war nämlich nicht immer Atheist gewesen. Ganz im Gegenteil. Tatsächlich war er bis vor Kurzem ein ausgesprochen gottesfürchtiger Junge gewesen, der allabendlich gebetet und Gott angefleht hatte, seiner Mutter zu helfen, ihr eine Pause in ihrem elenden Leben zu gönnen, ihr lang genug auf die Beine zu helfen, damit sie die Vormundschaft für ihre Kinder zurückerlangen konnte. Aber jegliche religiöse Überzeugung, die Jack einmal gehabt hatte, war verflogen, ein für alle Mal, hatte sich an einem einzigen Morgen in Luft aufgelöst. Nach dem, was er damals gesehen hatte, konnte er nicht mehr an ein so lächerliches Konzept wie Gott glauben. Kein Gott im gesamten Kosmos hätte jemals eine Gräueltat wie die zugelassen, die er mit eigenen Augen bezeugt hatte.
An jenem fraglichen Morgen war er gegen fünf Uhr morgens aus dem Pflegeheim in der Innenstadt geschlichen, in dem er und Molly gegenwärtig untergebracht waren, und zur U-Bahn gelaufen, um seine Mutter auf der anderen Seite der Stadt zu besuchen. Jack hatte dabei keine Gesellschaft gewollt, deshalb hatte er Molly schlafend in ihrem Bett zurückgelassen. Es war etwas zwischen ihm und seiner Mutter und sonst niemandem auf der Welt. Einige Dinge im Leben waren privat, und dieser Besuch gehörte dazu. Abgesehen davon hatte Jack seine Mutter seit Wochen nicht mehr gesehen, und er hatte ein Geschenk, das er ihr persönlich übergeben wollte. Etwas, um ihr zu zeigen, dass er sie immer noch liebte und sich um sie sorgte, ganz egal, was auch geschah. Doch als Jack eine Stunde später die eingeschlagene Tür zur Wohnung seiner Mutter aufdrückte, erlitt er stattdessen den größten Schock seines Lebens. Einen, der seinen Glauben an Gott vollkommen und endgültig vernichtete.
Der Leichnam seiner Mutter
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