Sieh dich um: Thriller (German Edition)
der wenigen Eigenschaften, in denen er sich geradezu auszeichnete.
»Eigentlich nicht, nein«, antwortete Jack auf die überwältigend unsensible Frage seines Vaters über seinen seelischen Zustand nach dem grausigen Mord an seiner Mutter. »Ich denke, ich verkrafte ihren Tod ganz gut. Natürlich vermisse ich sie sehr, aber ich hab ja noch dich, richtig?«
Don Yuntz nickte, legte den Kopf in den Nacken und trank einen weiteren ordentlichen Schluck von seinem Bier. »Verdammt richtig, Junge, du hast mich. Abgesehen davon ist der Tod ein Teil des Lebens. Es gibt das eine nicht ohne das andere. Aber wie hat es deine kleine Schwester aufgenommen?«
Jack rutschte unbehaglich auf dem Sofa hin und her. »Molly weiß noch nichts davon«, gestand er. »Und ich werde auch nicht derjenige sein, der es ihr sagt. Sie wird durchdrehen, wenn sie es herausfindet. Sie war immer ein Mamamädchen, das weißt du ja.«
Don Yuntz winkte ab. Der Sigmund Freud der 18th Street. »Ach, mach dir deswegen keine Gedanken, Sohn«, sagte er in dem vertrauten, unangenehm aufreizenden Tonfall, den Jack seit seiner frühesten Kindheit gehasst hatte – dem Tonfall eines Mannes, der von absolut nichts eine Ahnung hatte und dennoch überzeugt war, alles zu wissen. »Sie ist noch jung«, fuhr Don Yuntz fort. »Irgendwann kommt sie darüber hinweg. Du wärst überrascht, Sohn – das menschliche Gehirn besitzt eine bemerkenswerte Fähigkeit, sich selbst zu heilen. Das hab ich während meiner anderthalb Semester am City College gelernt.«
Damit lehnte er sich zurück und leerte seine Bierdose, bevor er sie hochhielt, zusammenknüllte und auf den wachsenden Haufen neben dem Sessel fallen ließ. »Hör mal, holst du mir noch ein Bier? Die gottverdammten Dinger laufen heute mal wieder durch wie Wasser.«
Jack stemmte sich aus dem Sofa und stapfte mit zitternden Knien in die Küche. In seinen Ohren hallte ein unheimliches Geräusch wider, und er konnte das Gefühl nicht abschütteln, durch eine Traumwelt zu schweben. Alles sah verschwommen aus. Das Geräusch in seinen Ohren wirkte unnatürlich laut, als käme es von irgendwo tief aus einer Schallverstärkerkammer.
Mit einem Blick über die linke Schulter zurück ins Wohnzimmer stellte sich Jack vor, wie alles rot von Blut wurde. Das Sofa, der Sessel, der Teppich. Alles rot. Schon bald würde es hier so aussehen. Schon bald würde diese Fantasie für Don Yuntz zu blutiger Realität werden. Es gab keine andere Option.
Jack wusste, dass es Mord sein musste. Kaltblütiger, skrupelloser, erbarmungsloser Mord. Genau wie der Mord an seiner armen Mutter.
Er schüttelte den Gedanken vorerst ab, ging zum Kühlschrank und bemühte sich, das Foto seines Vaters mit seiner neuen Freundin zu ignorieren, das mit einem kleinen herzförmigen Magneten an die Tür geheftet war. Jack war wütend genug, er brauchte keine zusätzliche Anregung.
Er würde die Tat genießen .
Jack öffnete die Kühlschranktür und schaute hinein. Im obersten Fach standen zwei leere Kartons Pabst, dazwischen befand sich ein ungeöffneter dritter Karton mit zwölf Dosen. Ansonsten nur Würzsoßen. Eine alte Ketchupflasche mit widerlicher schwarzer Kruste um den Deckel. Ein halbes Glas Mayonnaise. Ein kleines Glas Senf. Verschiedene Soßenpackungen von Taco Bell. Vom Kochen verstand die neue Freundin seines Vaters offensichtlich wenig. Andererseits – sollte ihn das überraschen? Wenn man Titten wie sie hatte, stand Kochen nicht weit oben auf der Liste der Dinge, die man im Leben beherrschen musste. »Soll ich die neue Packung aufmachen?«, rief Jack ins Wohnzimmer.
»Tu, was du tun musst, Junge!«, antwortete sein Vater aus dem Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. »Und wirf die leeren Kartons weg, wenn du schon dabei bist, ja? Reiß sie klein und steck sie in den Mülleimer. Und mach es ordentlich. Der Mülleimer ist unter dem Spülbecken.«
Jack schloss die Augen und tat erneut, wie ihm befohlen. Wenn sein Vater jedoch glaubte, dass Jack gekommen war, um das unbezahlte Dienstmädchen zu spielen, dann war der besoffene Mistkerl gewaltig auf dem Holzweg.
Jack war hier, um den Henker zu spielen.
Er nahm die leeren Kartons aus dem Kühlschrank, faltete sie klein zusammen und drückte sie in den Mülleimer auf einen Stapel zerschlagener Eierschalen. Aus dem Wohnzimmer erklang der Bariton eines Nachrichtensprechers mit einem Bericht über den mörderischen Amoklauf in Arizona. Offensichtlich war die Kongressabgeordnete, die
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