Sieh dich um: Thriller (German Edition)
lachte und wackelte mit einem Finger vor ihrem Gesicht. »Ah, versuchen Sie nicht, mich zum Narren zu halten, junge Frau. Ich habe daheim in Griechenland drei Töchter, und ich sehe es ihnen immer an, wenn sie unglücklich sind. Es steht in den Augen. Vor einem Vater kann man das nicht verbergen, ganz gleich, wie sehr man es versucht. Wir lesen die Traurigkeit in den Augen unserer Töchter so mühelos wie Kinder ein Bilderbuch. Es ist ganz einfach zu erkennen. Abgesehen davon – ist nicht jeder Tag wunderschön, wenn man am Leben ist? Wir dürfen unsere Tage auf der Welt nicht als selbstverständlich betrachten. Das wäre eine Beleidigung des Herrn.«
Dana spürte, wie sie errötete. Obwohl Brown neben ihr stand, konnte sie dem Drang nicht widerstehen, sich dem redseligen Hotdog-Verkäufer zu öffnen. Irgendetwas an der lockeren Art des Mannes, seinem beschwichtigenden Tonfall, daran, wie er sich ganz allgemein gab, vermittelte ihr auf Anhieb ein Gefühl der Entspannung. Außerdem brauchte Dana jemanden, mit dem sie reden konnte, hier und jetzt. Jemanden, der nichts über sie oder ihre sorgenvolle Vergangenheit wusste. Jemanden, der keine Ahnung von den Details dieses geradezu unerträglichen Falls hatte. Jemanden, der sie nicht für ihre zahlreichen Fehler verurteilte. »Die Arbeit läuft momentan nicht so besonders«, gestand Dana. »Verdammt, ich weiß kaum noch, ob ich gerade komme oder schon wieder gehe.«
Der Hotdog-Verkäufer schnalzte mit der Zunge. »Ah, das Gefühl kenne ich gut.« Er breitete die Arme aus, wodurch ein riesiger Senffleck auf seiner ansonsten sauberen weißen Schürze zum Vorschein kam. »Sehen Sie mich an. Daheim in Griechenland war ich Elektroingenieur, ein angesehener Mann. Hier in Amerika fahre ich mit einem Hotdog-Karren durch die Gegend und spare jeden Cent, um ihn meinen Töchtern zu Hause zu schicken. Ich weiß, dass Arbeit manchmal hart sein kann, junge Frau, aber Sie sollten nie vergessen, dass es immer schlimmer sein könnte.«
Dana zog überrascht die Augenbrauen hoch, als sie hörte, was der alte Mann in seiner Heimat Griechenland gemacht hatte. Sie hatte an der Cleveland University selbst das Studium der Elektrotechnik angefangen – und nach genau einer Woche angesichts des unfassbar schwierigen Fachs wieder abgebrochen, um sich der Kriminalistik zuzuwenden. »Warum haben Sie zu Hause Ihre Arbeit als Elektroingenieur aufgegeben und sind hierhergekommen?«, wollte Dana wissen. »Vermissen Sie Ihre Töchter nicht?«
Der Verkäufer lächelte traurig. »Oh ja, selbstverständlich vermisse ich sie, sehr sogar. Jeden einzelnen Tag. Aber wo sonst außer hier in Amerika bekommt man die Chance, jeden Tag neu anzufangen? Jeden Morgen, den Gott uns schenkt, eine Seite umzublättern und ein neues Kapitel aufzuschlagen? Dieses Land ist das großartigste Land der Welt, junge Frau, vergessen Sie das nie. Sie sollten dankbar sein dafür. Es gibt immer Menschen, denen es weit schlechter geht als Ihnen.«
Das schien ein wesentlich besserer Rat zu sein, als Dana ihn je von einem ihrer vielen Psychiater erhalten hatte, und eh sie sich versah, umspielte ein aufrichtiges Lächeln ihre Lippen. Zum ersten Mal seit Monaten gestattete sie sich, einen Hoffnungsschimmer zu empfinden. Vielleicht waren sie und Brown nur einen Schritt davon entfernt, diesen grausamen Fall zu lösen. Nur einen Schritt davon entfernt, die nächste Stufe der Karriereleiter zu erklimmen und dem Leid und Schmerz ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Die Antwort, nach der sie suchten, lag womöglich gleich hinter der nächsten Ecke – aber bevor sie das herausfinden konnte, musste Dana zuerst um diese Ecke gehen und sehen, was dahinter wartete.
Sie bezahlte ihre beiden Hotdogs, bevor sie und Brown sich abwandten und in der Menschenmenge verloren, die durch die geschäftige Straße strömte. Dana war froh, dem Hotdog-Verkäufer ein großzügiges Trinkgeld gegeben zu haben. Er hatte es verdient .
Nicht, dass Dana glaubte, ihre Schuld bei dem alten Mann je begleichen zu können. Seine Freundlichkeit ließ sich nicht in Geld aufwiegen. Trotzdem wollte sie es versuchen, und dafür mussten sie und Brown den Schachbrett-Mörder aufhalten und daran hindern, weitere unschuldige Menschen zu ermorden.
Unschuldige Menschen wie die geliebten Töchter des alten Griechen.
17
Es gab angesichts Jacks unerwarteten Auftauchens vor der Wohnungstür seines Vaters kein großes Aufhebens. Der Blick des Mannes, als er Jack vor sich im
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