Sieh dich um: Thriller (German Edition)
nicht, Jeremy. Aber ich wünschte bei Gott, wir wüssten es.«
Brown packte das Lenkrad fester, bis seine Knöchel weiß hervortraten. Diesmal fuhr er. Brown nickte nur. Worte waren nicht nötig.
Fünfzehn Minuten später standen Dana und Brown im Zimmer von Jack und Molly Yuntz. Connie Macklin, die Pflegemutter der beiden, hielt sich im Hintergrund an der Tür auf. Die beiden Einzelbetten im Raum standen sechs Meter auseinander. Auf einem saß ein Teddybär mit einer rosa Schleife im Haar. Über dem Bettpfosten hing ein Rüschenkleidchen mit einer breiten Schärpe. Auf dem Nachttisch daneben lag ein gefährlich hoher Stapel Pokémon-Karten mit einem lachenden Picachu zuoberst.
Dana spürte angesichts der überwältigenden Normalität, die sich ihren Augen bot, einen Stich im Herzen. Das alles sah kaum anders aus als ihr eigenes Kinderzimmer, als sie ein kleines Mädchen gewesen war. Trotzdem war es keine Kindheit gewesen, die sie irgendjemandem gewünscht hätte. Statt eines Ortes der Zuflucht und Wärme, wie ihn jedes Kind verdiente, war Danas Kinderzimmer ein Ort, dem sie niemals entkommen konnte, ganz gleich, wie alt sie wurde oder wie viele Psychiater sie aufsuchte.
Auf der Seite des Jungen stand auf einem Baumarktschreibtisch ein alter iMac mit Röhrenmonitor und durchscheinender, grüner Gehäuseabdeckung. Über seinem Bett hing ein Poster mit den Schauspielern der Biss -Serie, eine wunderschöne Bella Swan, flankiert von den Teenieschwärmen Edward und Jacob. Dana musterte das Gesicht von Jack Yuntz und erkannte es wieder. Er hatte sich stark verändert, seit er ein kleiner Junge gewesen war, doch es waren genügend Ähnlichkeiten geblieben, um sie davon zu überzeugen, dass es sich um den Jungen auf dem Foto handelte, das sie in der Schachbiografie über Amos Burn gefunden hatten. Der Fingerabdruck stammte vermutlich von ihm, aber es war unwahrscheinlich, dass sie es je erfahren würden. Man benötigte einen begründeten Verdacht und einen richterlichen Beschluss für derartige Dinge, und kein Richter der Welt würde seine Zustimmung erteilen, einem Jungen weiter zuzusetzen, der soeben beide Eltern verloren hatte.
Dana räusperte sich leise. So schonend wie möglich informierte sie die Kinder über die grauenhaften Tode ihrer Eltern.
Jack Yuntz wirkte stoisch, als er die Neuigkeit erfuhr. Wie eine Statue. Wahrscheinlich ein Schockzustand. Seine kleine Schwester zeigte ein völlig anderes Bild. Der Schrei, den sie ausstieß, ließ Dana das Blut in den Adern gefrieren.
Dana wusste, dass es ein Schrei war, der sie ewig begleiten würde. Ein Schrei, der sie schon ewig begleitet hatte . Ein Schrei, der eine schauerliche Ähnlichkeit mit dem untröstlichen Schrei aufwies, den sie selbst als kleines Mädchen in jener Nacht ausgestoßen hatte, als ihre Eltern kaltblütig vor ihren Augen ermordet worden waren.
Connie Macklin eilte in den Raum, doch das kleine Mädchen brachte sie mit einem weiteren Schrei zum Stehen, diesmal einem Schrei voll blanker Wut. »Geh weg von mir!«, kreischte Molly Yuntz. »Du bist nicht meine richtige Mutter!«
Wie ein begossener Pudel drehte sich die Frau um und verließ das Zimmer. Dana fühlte mit ihr, aber sie wusste auch, dass es keine Möglichkeit gab, diesen Schicksalsschlag für die Kinder leichter zu machen. Überhaupt keine.
Wie sollte man auch den Schlag eines verfluchten Vorschlaghammers dämpfen?
20
Jack Yuntz kämpfte gegen den Drang an, hysterisch aufzulachen, als die beiden FBI-Ermittler ihr Kinderzimmer betraten. Er fühlte sich wie ein Irrer, der seine Handlungen nicht unter Kontrolle hatte, ganz gleich, wie sehr er sich bemühte. Es war einfach alles zu viel, um ruhig zu bleiben.
Der traurige Ausdruck in den Gesichtern der beiden verriet ihm, dass sie ihn nicht verdächtigten, am Tod seines Vaters schuld zu sein, und dafür war er dankbar. Trotzdem glaubte Jack einige nervöse Augenblicke lang – nachdem Dana Whitestone ihnen Details der Morde an ihren Eltern genannt, ihnen ihre Visitenkarte gegeben und sie aufgefordert hatte, sie anzurufen, falls sie jemanden zum Reden brauchten –, dass er sie vielleicht auf der Stelle erschießen müsste. Die Pistole seines Vaters lag nur anderthalb Meter von ihm entfernt unter seinem Kopfkissen, und tatsächlich wäre es nicht weiter schwierig gewesen. Dann jedoch war ihm Molly zu Hilfe gekommen, wie er es von Anfang an geahnt hatte. Als Molly hörte, was Dana Whitestone zu sagen hatte, drehte sie wie auf ein
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