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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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südlich von Andrano. Hätten die Raucher Italiens dort geraucht, wo sie es dürfen, hätten Renato und ich uns nie unterhalten, und ich hätte den Mann, der in Süditalien zu meinem engsten Freund werden sollte, nie kennengelernt – obwohl er sich als genauso unzuverlässig erwies wie der Zug, in dem wir uns begegneten.
    Während wir den Stiefelschaft durchquerten und nach Osten in Richtung Küste fuhren, begriff ich, warum ich nach Italien zurückgekehrt war. Im Leid vereint erzählten mir meine neuen Freunde Geschichten vom Glück im Unglück, von den Vorteilen der Nachteile, von Paaren, die sich kennengelernt hatten, weil er sie auf seinem doppelt vergebenen Sitzplatz vorfand. Wenn die Winterzeit vorbei ist und die Uhren wieder zurückgedreht werden, bleiben die italienischen Züge eine Stunde lang stehen, um schließlich doch noch pünktlich zu sein. »So hat mein Bruder seine Frau kennengelernt«, sagte Patrizia. »Er hat in einem Zug gewartet, der auf die Uhrzeit wartete.« Nichts bricht schneller das Eis und ist ein besserer Anmachspruch als das Thema Ineffizienz. Ich weiß nur nicht, was Trenitalia tut, wenn die Uhren vorgestellt werden. Und was passiert eigentlich bei der Alitalia …?
    Nur sehr nachsichtige Menschen können die Widersprüche Italiens genießen. Jeder Perfektionist muss das Land als vollkommen entgleist empfinden. Aber wenn es ums Zugfahren geht – wer ist dann besser dran? Pünktliche Fremde oder sich verspätende Freunde? Wollen Sie einen sauberen Zug oder die Freunde, die Sie in einem dreckigen kennengelernt haben? Ich hatte noch nie so ein primitives öffentliches Verkehrsmittel benutzt. Unsere bemitleidenswerte Waggon-Karawane bewegte sich im Zeitlupentempo durch die Landschaft wie eine kranke Raupe. Nach drei Stunden Fahrt hatten wir bereits eine Stunde Verspätung. Aber in diesem Zug bekam ich einen Job, einen Freund und kurz darauf noch ein Dutzend Pasta-Rezepte. Solche Vorteile können die Nachteile nicht entschuldigen, sondern sind höchstens eine Art Pflaster, das einem die Blasen vom Stiefel ein wenig erträglicher macht.
    Waren wir vor einer Stunde noch vollkommen Fremde gewesen, witzelten und lachten wir bereits gemeinsam, als sich der Zug der Küste näherte. Salz lag in der himmelblauen Luft. Zirruswolken ließen mich an den australischen Himmel denken, eine Erinnerung, die ich mit meinen neu gewonnenen Freunden teilte. »Warum leben Sie in Italien, wenn Sie in Australien leben können?«, fragte Patrizia. Ob sie mir wohl glauben würde, wenn ich ihr erzählte, dass solche Erfahrungen wie in diesem heruntergekommenen Zug dafür verantwortlich waren?
     
     
    Rimini – Pescara
     
    Billig-Babes im – und ohne – Bikini waren die Mitwirkenden in dem vulgären italienischen Streifen Rimini Rimini , ein Bombardement von Brüsten und Italiens Antwort auf Surfer’s Paradise , nur ohne die Wolkenkratzer, aber dafür mit vielen anderen Erektionen. Für Italiens junge Singles liefern Riminis Discos und Deckchairs die Voraussetzungen für sommerliche Erholung: Hier gibt es Sonne und Meer, unverhüllte Körperteile und Unzucht im Überfluss. Selbst wer keinen Partner findet, kommt sich zwangsläufig näher und muss mit seinem Nachbarn hautnahen, wenn nicht sogar intimen Kontakt aufnehmen. Und ich rede hier nur vom Strand! Zusammen mit Tausenden von anderen Feriengästen mietet man sich zwei Quadratmeter Sand, eine Sonnenliege und einen Strandschirm – ein Urlaub, den ich mir in etwa so entspannend vorstelle wie eine Massenflucht. Aber viele Mitreisende sahen das anders, sodass sich der Zug oder zumindest der Gang etwas leerte. Aber die Schildkröte blieb. Wie die anderen Touristen, die an Bord blieben, bevorzugte auch sie die weiter südlich gelegenen pittoreskeren Buchten und Strände.
    Ein schrilles Pfeifen war zu hören, es hupte, und das Wort Rimini glitt am Fenster vorbei, zunächst ganz langsam und dann so schnell, dass man es kaum noch lesen konnte, bis es abrupt verschwand. Meeresluft füllte den Waggon, während wir die Halbinsel weiter hinunterfuhren und zur Linken die Adria bewunderten. Rechts lag die autostrada , die Daniela vor zwei Tagen in dieselbe Richtung gefahren war. Dahinter bildeten die Bauern einen starken Kontrast zu dem Strandvolk auf der anderen Seite des Zuges. Sie arbeiteten auf den Feldern, die von Zypressen überwachte und überschattete Landhäuser umgaben. Zur Linken Urlaub, zur Rechten harte Arbeit, und in der Mitte ein Museum, von dem aus ich

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