Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
beide begehrten genau dasselbe, nur dass Renato kein Hehl daraus machte.
Italienische Männer und Frauen sind erfreulich unverklemmt, wenn es um Sex geht. Für sie ist sesso kein schmutziges Wort, sondern ein menschliches Grundbedürfnis, das vielleicht noch wichtiger ist als Nahrung. Als Roberto Benigni die Bühne des San-Remo-Festivals betrat und die umwerfende Moderatorin um »ein paar Sekunden unter Ihrem Rock« anflehte, wurde ihm von männlichen und weiblichen Zuschauern applaudiert. Ich brauchte eine Weile, um mich an eine Gesellschaft zu gewöhnen, die so ein Benehmen in Ordnung findet. Ich hatte mich nämlich ein wenig unwohl gefühlt, als ich in Tricase ins Kino ging, um mir den Film Der Zauber von Malèna anzusehen, in dem die schöne, vollbusige Monica Bellucci eine sexuell unbefriedigte Kriegswitwe spielt, die sich an schwülen sizilianischen Abenden Zitronensaft über die Brüste träufelt. Nicht wegen dem, was ich sah, sondern wegen denen, mit denen ich das sah. Der zehnjährige Junge neben mir leckte gleichgültig an seinem Eis, während sich die Bellucci mehr oder weniger masturbierte. So ein Film wäre in Australien erst ab sechzehn oder sogar achtzehn Jahren freigegeben worden. In Tricase war er für alle Altersstufen freigegeben. Warum hätten die Eltern des Jungen extra einen Babysitter zahlen sollen, nur weil die Bellucci ihre tägliche Dosis Vitamin C auf andere Weise zu sich nahm als die meisten anderen Leute?
In Italien betet man die Frauen lieber an, statt sie zu respektieren. Am achten März, dem internationalen Frauentag, überschütten die Verehrer sie mit Mimosen, um La festa della donna zu feiern. Sträuße der gelben Blumen werden an jeder Straßenecke feilgeboten. Das ist der Tag des Jahres, an dem die Bettler etwas vorrätig haben, das die Autofahrer tatsächlich kaufen wollen, und das Fensterputzen kann warten.
Solche Feiertage sind wohltuend, aber unzählige Filme wie Rimini Rimini und das italienische Fernsehen im Allgemeinen haben nur wenig zur Emanzipation der Frau beigetragen. Aber warum regen sich die italienischen Frauen nicht mehr darüber auf? Wenn Daniela und ich fernsehen, echauffiere ich mich über die vielen Nackten. Wir essen mit ihrer Mutter zu Abend, während zwei Frauen im Schlamm ringen, und Valeria – eine pensionierte Lehrerin und regelmäßige Kirchgängerin – hält einer davon sogar noch die Daumen! Das ist alles eine Frage der Kultur. Daniela ist mit der Vorstellung aufgewachsen, dass Frauen aus Torten kommen. Meine australische Exfreundin fand, Frauen sollten nicht mal welche backen.
Renato hatte nur wenige Gemeinsamkeiten mit meiner damaligen Freundin. Italien wäre für ihren Geschmack viel zu sexistisch gewesen. Aber viele Frauen, ja sogar eine berühmte Feministin, finden die Einstellung des Landes zum Thema Sex eher befreiend als unzüchtig. »Was finden wir in Italien, das wir sonst nirgendwo bekommen?«, fragte Erica Jong in My Italy . »Ich glaube, es ist eine bestimmte Erlaubnis, menschlich zu sein, die in anderen Ländern längst verloren gegangen ist.« Renato hätte ihr zugestimmt, obwohl er mit Sicherheit lieber ihre Schenkel als ihre Theorien inspiziert hätte. Nachdem Silvia ihre Bluse wieder zugeknöpft hatte, schlief er ein. Das Einzige, was ihn interessierte, war seinen Blicken entzogen worden.
Pescara – Bari
Ein Eurostar mit seinen abgedichteten Fenstern und der Klimaanlage ist für romantische Bahnhofsszenen vollkommen ungeeignet. Wie Soldaten, die sich auf dem Weg an die Front von ihren Lieben verabschieden, hängten sich die Reisenden weit aus den Fenstern, sobald der Adria-Express an einem Bahnhof hielt. Die Bahnsteige waren überfüllt. Auf jeden, der abfuhr, kamen fünf, die ihn verabschiedeten. Jungen entließen ihre Freundinnen mit leidenschaftlichen Küssen. Männer entließen ihre Frauen mit flüchtigen Küssen. » Ciao Giovanni! «, rief jemand. » Buon viaggio! «, schrie ein anderer. » Salutami la nonna! «, rief eine Mutter ihrer Tochter zu. » Stammi bene «, sagte ein Vater zu seinem halbwüchsigen Sohn. Ein Baby wurde zum Fenster hochgereicht, um geküsst zu werden, eine Frau bekam ein Abschiedsständchen von einer Gruppe junger Männer, und ein alter Mann stolperte und stürzte auf einer Treppe. Jeder Halt war ein großes Ereignis und wenn man sich den Zug so ansah: jede Weiterfahrt ein kleines Wunder.
Solche Zeremonien waren nicht nur für die Abreisenden reserviert: Sechs Carabinieri warteten vor dem
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