Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
Witwen ziehen Chicorée aus der Erde. Männer mit ledriger Haut schichten Kartoffeln in Jutesäcke. Hunde werden an Ketten gelegt und bekommen einmal am Tag etwas zu fressen, wenn sie Glück haben. Die Straßen sind müllübersät. Steinmauern stürzen ein. Auf dem Hügel steht ein Kruzifix, am Strand ein Olivenbaum, und auf dem Dach eines verlassenen Hauses wachsen Kaktusfeigen, während in einem ausgetrockneten Flussbett eine ausrangierte Waschmaschine steht. Apuliens bäuerlicher Charme ist bezaubernd, wettergegerbt und rau, aber seine pockenvernarbte Landschaft ist eine Zumutung für jeden ordnungsgewohnten Betrachter.
Es war dunkel, als wir an Brindisi vorbeifuhren. Der Rauch aus den Industrieschloten schwärzte den Himmel wie Tinte. Ich sah die Lichter eines Flugzeugs, das den Flughafen verließ, auf dem ich anfangs in Italien gelandet war. Damals hatte Daniela auf mich gewartet, genau wie heute, aber diesmal war ich noch aufgeregter, sie zu sehen. Nach einem gemeinsam verbrachten Jahr hatte sich meine Liebe zu ihr geändert. Wir besaßen eine gemeinsame Geschichte, wenn nicht sogar eine gemeinsame Zukunft.
In unserem Abteil waren nur noch Renato und ich übrig geblieben, und wir waren geschlagene elf Stunden unterwegs. Andere waren gekommen und wieder gegangen, aber wir hatten von Anfang an da gesessen. Jetzt genossen wir den Endspurt wie bei einem Marathonlauf. Die Schönheit des Adria-Express besteht darin, dass sie ein durchschnittliches Reiseziel in ein Paradies verwandelt. Die Verspätung machte aus unserer Ankunft einen Grund zum Feiern, so als sei der Krieg, in den wir gezogen waren, während unserer Reise gewonnen worden.
Aber in dem Moment, in dem wir dachten, unsere Strapazen wären endgültig vorbei, gingen die Lichter aus, und wir legten die letzten Kilometer bei vollkommener Dunkelheit zurück. Der Blackout schien auf unseren Waggon beschränkt zu sein, was Renato zu der Bemerkung veranlasste, wir hätten einen Tunnel mitgenommen. Als wir endlich mit zweistündiger Verspätung in den Bahnhof von Lecce krochen, wimmelte es am Bahnsteig nur so von kurzärmeligen T-Shirts und strahlenden Gesichtern. Und mitten in der Menge und mit einer sommerlichen Kurzhaarfrisur stand das sonnengebräunte Mädchen, das mich bleich in Mailand zurückgelassen hatte. Drei Tage waren seitdem vergangen. Einer davon im Zug. Allein ihr Blick war es wert, die Reise angetreten zu haben.
Wir küssten uns im Auto, als mein Handy klingelte. » Pronto. Ich heiße Giovanni. Ich glaube, Sie haben ein Paket für mich dabei.« Unsere Lust musste warten, bis wir einem Soldaten das Essen seiner Mutter gebracht hatten. Ich hoffe, er hat nicht bemerkt, dass ein paar von den Keksen gefehlt haben.
16
Die Piazza am Meer
I ch schlief schnell ein, wurde aber von einem selbst gebastelten Megaphon ebenso schnell wieder aus dem Schlaf gerissen. » Meloni meloni meloni!« In Andrano hatte sich nichts verändert. Signor Api betankte Autos in einem ölverschmierten Hemd, Obst- und Gemüsehändler scheuchten Käufer aus ihren Häusern, und eine streunende Katze suchte Zuflucht unter Pippos Fiat, der wie immer in Danielas Einfahrt stand. Fischerboote kehrten in den Hafen zurück, Bauern schufteten auf ihren Feldern, Hausfrauen hingen die Wäsche auf der Dachterrasse auf, und Kinder stahlen Tomaten von Ladeflächen. Ein Mann auf einem Motorrad sauste an der Burg vorbei und balancierte eine Wassermelone auf seinem Benzintank. Eine schwarze Witwe radelte über die Piazza und brachte einen frischen Blumenstrauß auf den Friedhof. Und als die Kirchturmglocke neun Uhr schlug, strahlte das weiße Dorf heller als die Sonne. Es waren bereits dreißig Grad – der Sommer war nach Andrano zurückgekehrt.
» Meeeeelanzzaaaneeciicoooooorie! « Diesmal verstand ich das Geschrei, das mich aus dem Schlaf riss. Noch vor einem Jahr war es mir völlig unverständlich, aber jetzt begriff ich jedes Wort. Meine zweite Heimat und meine zweite Sprache waren mir zur zweiten Natur geworden. Ich war endlich unabhängig und schaffte es sogar, den Preis für eine Artischocke weiter herunterzuhandeln als Daniela. Ich lief in der Badehose auf die Straße und gab den Händlern ein Zeichen, anzuhalten. Alle kannten mich, den einzigen Australier im Ort. » Il Canguro! «, riefen sie, bevor sie ihren Motor abstellten, um mir etwas zu verkaufen und – was noch viel wichtiger war – einen Schwatz mit mir zu halten.
Meine Rückkehr nach Andrano bewegte mich sehr. Ich
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