Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
Vätern, ihre Wassermelonen nicht so brutal mit dem Messer zu massakrieren. Severgnini hat Recht mit seiner Terrazzo Law : Wenn man unter freiem Himmel mit netten Leuten zu Abend isst und guten Wein trinkt, lösen sich Italiens Alltagsprobleme in Wohlgefallen auf. Berlusconi hätte seine Hände in der Staatskasse haben können, und es wäre uns egal gewesen.
Trotzdem wurde ich den Verdacht nicht los, dass die Hühner umsonst gestorben waren. Sie waren der vierte Gang eines fünfgängigen Festmahls, und als sie endlich aufgetragen wurden, konnten wir einfach nicht mehr. Aber als ich sah, dass Riccardo auf einen Schwatz herüberkam, nahm ich ein paar Bissen.
» Allora? «, fragte er. »Wie sind sie?«
» Buonissimo «, erwiderte ich und unterdrückte ein Rülpsen.
» Complimenti «, ächzte Daniela, die genauso vollgestopft war wie ich.
»Das freut mich«, sagte Riccardo. »Aber sagt bitte den Mädchen nichts. Sie haben den ganzen Vormittag damit verbracht, die Hühner zu zählen, die zum Glück nicht lange genug still gestanden sind, dass sie die fehlenden drei bemerkt hätten. Ich habe ihnen gestanden, eines getötet zu haben, aber die anderen hat der Metzger gebracht, kapiert?« Wenn ein Polizist seine Version des Geschehens mit Zeugen bespricht statt umgekehrt, weiß man, dass man in Süditalien ist.
Als perfekter Gastgeber kam Riccardo nach dem Essen mit einem Teewagen voller Liköre an und bestand darauf, dass ich einen Amaro probierte – einen Verdauungsschnaps, der als Kräutertee durchgehen könnte, wenn er nicht 30 Prozent Alkohol hätte. Die Tische wurden weggeräumt und ein Akkordeon hervorgezaubert. Kinder tanzten, Eltern sangen, und ein streunender Hund schnupperte am Tor. Viele Lieder waren im Dialekt, und ich verstand nur, dass eine Frau namens Adriana zu viele Männer liebte und sich dringend entscheiden musste. Dann ging es mit Tarantellas weiter, die Kinder wanden sich und zappelten, als hätten sie den »Trance-Tanz« im Blut. Gegen zwei Uhr nachts sangen wir immer noch. Keiner der Eltern verschwendete auch nur einen Gedanken daran, die Kinder nach Hause zu bringen, und diejenigen, die auf ihren Stühlen eingenickt waren, wurden am Ende eines jeden Lieds von dem herzlichen Applaus der sommerlichen Sänger geweckt.
Gegen drei gingen die meisten nach Hause, während der Rest beschloss, nach Castro zu fahren, um dort ein Eis zu essen. Riccardo war mit von der Partie, brauchte aber eine Mitfahrgelegenheit, weil seine Autobatterie leer war. Wir fuhren im Konvoi hinter Riccardos Freund Diego her, der behauptete, eine Abkürzung zu kennen. Diego, der die Anwesenheit eines Polizisten im Auto vollständig ignorierte, fuhr den größten Teil der Strecke auf der falschen Straßenseite, also auf der linken Fahrbahn, »damit sich der Australier ganz wie zu Hause fühlt«, wie er uns erklärte.
Es dauerte nur noch wenige Stunden, und eine erbarmungslose Sonne würde vom Himmel brennen. Dann wäre es zu heiß, um sich zu bewegen, also mussten wir die Dunkelheit weitestgehend ausnutzen. Nur die Unverzagtesten blieben übrig: Riccardo, Diego, Daniela und ich, ein Konzertpianist und der örtliche Klempner. Aber was nun? Mein Vorschlag, zum Hafen zu fahren und schwimmen zu gehen, schockierte alle. Nicht, weil sie etwas dagegen hatten, sondern weil sie meine Idee für den sicheren Tod hielten. Also verdauten wir noch eine halbe Stunde, bevor wir zum Hafen von Andrano aufbrachen. Von einem Felsen aus neben den Fischerbooten, die an ihren Leinen ächzten, wurde ein Tauchwettbewerb organisiert. In Unterwäsche stürzten wir uns ins Wasser und kreischten wie die Kinder, während sich das Wasser weiß und der Horizont hellrosa färbte.
Als Daniela und ich endlich ins Bett gingen, war die Sonne bereits aufgegangen, doch indem wir die serranda schlossen, ließen wir sie wieder untergehen. Zum ersten Mal verschliefen wir den Wassermelonenverkäufer, der kurz darauf lauthals seine Runde drehte.
Wir verbrachten fast den ganzen Sommer mit diesem Haufen über vierzigjähriger Teenager und waren dermaßen aktiv, dass nicht mal die Kirchturmglocke hinterherkam. Auf lebhafte Nächte folgten faule Tage an Andranos beliebtestem Badestrand La Botte, der so heißt, weil er wie ein Weinfass geformt ist. Viele Strände im Salento haben Spitznamen und sind nach den Konturen benannt, die ihnen das Wasser und die Zeit gegeben haben. Ein paar Kilometer weiter südlich liegt La Grotta Verde – die grüne Grotte, wo die Fischer Seile
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