Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
vom »Schweinerüssel« werfen und Badende vom »Adlerschnabel« springen. Alle diese Strände waren beliebt, aber La Botte war mit seinem Parkplatz und Kiosk am leichtesten zu erreichen und dementsprechend überfüllt.
Jetzt, wo die Einwohner von Andrano den Hügel zu ihren Ferienhäusern heruntergerollt waren, brauchten sie einen neuen Treffpunkt. Das relativ ebene, große Felsplateau von La Botte an einer sonst eher schroffen Küste war genau der richtige Ort dafür – eine Piazza am Meer. Ganz so, als hätte man den Marktplatz in den heißesten Monaten des Jahres an den Strand verlegt, wo es mindestens fünf Grad kühler war als im Ort oben auf dem Hügel. Ein Kiosk ersetzte die Bar, Märkte wurden auf dem Parkplatz abgehalten, und selbst der Priester hielt eine Nachmittagsmesse am Strand, um der Hitze in der Kirche zu entgehen.
Dicht an dicht tummelten sich die Andranesi am Strand wie Pinguine einer Kolonie. Sie kümmerten sich um alle möglichen Angelegenheiten, nur nicht um ihre eigenen. In Badeanzügen und Plastiksandalen, weil die spitzen Felsen und Seeigel zu scharf für Barfußläufer waren, gingen sie ihrem Alltag nach wie sonst auf der Piazza, nur dass sie ab und zu ins Meer sprangen, um sich abzukühlen. Lokalpolitiker debattierten Gemeindeangelegenheiten und fuchtelten genauso mit den Armen, um ihre Worte zu unterstreichen, wie im Rathaus. Der Klassenlehrer erklärte einer Mutter, warum ihr Sohn Schwierigkeiten in Mathe hatte. Der Mechaniker schilderte einem Kunden, warum sein Wagen nicht ansprang. Junge Leute tauschten verliebte Blicke und die Älteren Klatsch. Musik plärrte aus dem Kiosk, wo Teenager den Chihuahua und den » IMCA « tanzten – im italienischen Alphabet gibt es kein Ypsilon. Ältere Männer spielten Karten und tranken knallrote aperitivi . Wie an den meisten italienischen Stränden ging es eher karnevalesk zu. Es gab mehr Eiscreme als Sonnencreme, und das Meer lag spiegelglatt vor uns.
Die Aussicht war fantastisch. Im Norden lag der Ort Castro – weiße Häuser auf einer Landzunge, typisch Mittelmeer eben. Im Süden befand sich ein mit Olivenbäumen bewachsener Hügel, der vom Torre del Sasso, einer Wachturmruine, gekrönt wurde. Und auf der anderen Seite des Meers lag Albanien, unsichtbar wegen des Dunstes, aber nah genug für seine Bewohner, um zu sehen, wie sehr wir uns amüsierten – und ihr Leben zu riskieren, um zu uns zu stoßen.
Hinter dem Strand lag ein schattiger Fußweg, der La Botte mit dem Hafen von Andrano verband. Dieser wurde von pubertierenden Jugendlichen heimgesucht, die zu cool waren, um bei ihren Eltern am Strand zu bleiben. Sie unterhielten sich, schrien, rauchten, spuckten, fluchten, schickten sich SMS-Nachrichten, obwohl sie direkt nebeneinanderstanden, und grüßten Freunde, die auf Vespas vorbeischossen – vorausgesetzt, sie erkannten sie. Der neue Helmzwang verdarb ihnen eine von Andranos Lieblingsbeschäftigungen – das Grüßen im Vorbeifahren, zumindest, wenn der vigile Dienst hatte und das Gesetz gerade respektiert wurde. »Diese Helmpflicht ist Mist«, sagte Danielas Freundin Patrizia. »Jetzt weiß ich gar nicht mehr, wer da hupt, um mich zu begrüßen.« Die Vorteile der modernen Gesetzgebung setzen sich nur sehr langsam in alten Orten durch, wo man das Sozialleben über die persönliche Sicherheit stellt. Ich kann mir kaum einen schlimmeren Job vorstellen, als in Italien vigile zu sein. Pocht man dort auf die Einhaltung der Gesetze, gilt man hauptsächlich als Spielverderber und nicht als Polizist.
Am Strand teilten sich vier Generationen den Schatten eines Sonnenschirms. Das Loch, das ihn aufrecht hielt, hatten Vater und Sohn, die den Kiosk führten, selbst in den Fels gebohrt. Wenn man ein solch freies Loch finden oder sein Handtuch auf einer einigermaßen ebenen Fläche ausbreiten wollte, musste man entweder sehr früh oder nach ein Uhr mittags kommen, wenn sich der Strand innerhalb weniger Minuten leerte und die hungrigen Mägen zu ihren Spaghetti nach Hause eilten.
Nach einem Abend, an dem es wieder mal spät geworden war, trafen Daniela und ich die anderen so gegen elf am La Botte. Um diese Uhrzeit war es zu heiß, um sich zu sonnen, und das Meer war überfüllter als der Strand. Unsere Freunde sahen uns kommen und empfingen uns feierlich, so als ob wir uns nicht nur sechs Stunden, sondern sechs Jahre nicht gesehen hätten. Wir ließen unsere Handtücher fallen und eilten zu ihnen ins Wasser, das an manchen Stellen warm und an
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