Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
Boots befanden sich Geistliche sowie eine Statue des Heiligen, die so lebensecht aussah, dass man meinen könnte, der heilige Andreas sei seekrank. Im zweiten Boot folgte eine Blechblaskappelle, die sich redlich bemühte, auf einer schwimmenden Bühne zu spielen, aber bei jeder Welle falsche Töne spielte. Kleinere Boote voller Pilger, die die Welle der guten Vorsätze ritten, bildeten das Schlusslicht. Die Statue wurde in den Hafen gebracht, auf dem Parkplatz gesegnet und dann den Hügel hoch in die Andreaskirche getragen. Die Schlichtheit der Prozession machte sie zu etwas ganz Besonderem. Zu einem Ort, der von kretischen Fischern gegründet wurde, passt ein Dutzend träger Fischerboote tausend Mal besser als ein kitschiges Arrangement aus Neonlichtern.
Am Abend danach veranstalteten wir ein Scopa -Turnier an den wackeligen Tischen des Kiosks. Zehn Paare lieferten sich bei der sogenannten » Andrano International Scopa Competition « einen lautstarken Wettkampf um eine wertlose Blechtrophäe – international war er deshalb, weil auch ein Australier mitspielte. Ich hätte sogar fast gewonnen, wenn Daniela im Halbfinale nicht so blöd gewesen wäre, die falsche Karte auszuspielen. Am Ende holten Riccardo und Maria den Titel, obwohl der Polizeichef im Finale des Betrugs bezichtigt wurde.
Nach dem Turnier verließen wir La Botte und fuhren den Hügel hoch Richtung Ort. Auf halbem Weg nahmen wir eine Landstraße, die zu einer Kirche auf einer Lichtung führt, von der aus man einen herrlichen Blick aufs Meer hat. Wie die Kirche war auch der Abend der Madonna dell’Attarico geweiht, der sagenumwobenen Retterin eines Kleinkinds, dessen Mutter sie um Hilfe anflehte, weil sie ihr Kind nicht stillen konnte. Laut der Andrano-Folklore ist die Madonna dell’Attarico , ein Wort, das wahrscheinlich von allattare - stillen – kommt, daraufhin der Mutter im Traum erschienen und hat sie auf die Anwesenheit einer Schlange aufmerksam gemacht. Diese trank ihre Milch, während sie schlief, sodass sie am nächsten Morgen keine mehr hatte, als das Baby dran gewesen wäre.
Daniela hatte mir dieses Heiligtum schon eine ganze Weile zeigen wollen. Nicht die Kirche – ein moderner Bau, der aussieht wie ein Wasserkessel -, sondern die unterirdische Krypta, in der die Legende ihre Wurzeln hat. Ein paar Stufen führen zu einer steinernen Grotte, die man durch einen kreuzförmigen Eingang betritt. Darin befindet sich ein stark verblasstes Fresko, das die heilige Jungfrau beim Stillen zeigt. Nach Jahrhunderten in einer Höhle, die mit Wasser vollläuft, wenn es regnet, ist kaum noch etwas davon zu erkennen. In seinem Buch Was dir Steine erzählen können schreibt Andranos Priester, Don Francesco Coluccia, dass die Legende, die sich um das Fresko rankt, auch als soziale Allegorie gelesen werden kann. Zur Zeit ihrer Entstehung »molken« Andranos Großgrundbesitzer ihre Tagelöhner nämlich wie die Schlange, die die Mutter zwang, für das Überleben ihres Kindes zu beten.
Don Francesco glaubt, das Fresko stamme von byzantinischen Mönchen, die an die heutige italienische Küste flohen, um der religiösen Verfolgung während des achten bis zehnten Jahrhunderts im orthodoxen Osten zu entgehen. Er glaubt, sie hätten in der Höhle Zuflucht gesucht, weil sie dort sicher waren und eine fantastische Aussicht genießen konnten. Doch die fliehenden Mönche hatten dem Salento noch mehr zu bieten als künstlerisches Geschick. Neben ihren spärlichen Habseligkeiten brachten sie auch Samen einer speziellen Eichenart namens La Vallonea mit, die eigentlich nicht in Italien heimisch ist, aber die jetzt in bescheidener Anzahl rund um Andrano gedeiht. Der beeindruckendste Baum wurde im zwölften Jahrhundert gepflanzt und ist jetzt ein Riese am Rand von Tricase.
Andranos Geschichte schlägt sich in der Landschaft nieder, im Dialekt der Menschen und den Heiligenlegenden. Legenden wie die der Madonna dell’Attarico , deretwegen wir in jener Nacht zu der Lichtung gefahren waren. Tatsächlich hatten sich die meisten Dorfbewohner dort eingefunden, und das Fest war bereits in vollem Gange. Es gab eine Band, es wurde gegrillt, ein Albaner verkaufte Gürtel, ein vigile dirigierte den Verkehr, und ein Esel war an einen Baum gebunden.
» Poverino «, sagte ich zu Daniela und zeigte auf das angebundene Tier.
»Ach, um den brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, entgegnete sie. »Esel kommen schon angebunden zur Welt.«
Ich liebe es, wenn die coolste Frau, die ich
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