Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
streunenden Katze geweckt wurde, die über meine Brust tapste. Also beschlossen wir, im Keller zu schlafen, zumal das Thermometer fast vierzig Grad zeigte. Gegen fünf erhoben wir uns zur zweiten Hälfte des Tages, stärkten uns mit Obst aus dem Kühlschrank und kehrten entweder an den Strand zurück oder erledigten Pflichten, die nicht bis zum September warten konnten.
Wenn Riccardos Clique nichts für den Abend geplant hatte, fuhr ich zum Tennisclub von Tricase. Italiener sind ohnehin schwer zu organisieren, aber im Sommer ist es noch schwieriger. Ein Doppel mit Renato und seinen Freunden zu organisieren war schwieriger als das Match selbst. Entweder kamen drei oder fünf Spieler, aber nur selten die erforderlichen vier. Wenn es zahlenmäßig klappte, kam garantiert jemand zu spät, meist Renato, dessen Vorhand besser funktionierte als die Zeiger seiner Uhr. Aber ich genoss seine Entschuldigungen mindestens so sehr wie seine Gesellschaft. »Tut mir leid, dass ich zu spät bin«, sagte er eines Abends. »Ich musste noch einen Kuchen für meine Mutter backen.« Ob das Rezept wohl von Rita aus dem Zug war? Wir spielten in der Regel bis nach Mitternacht und tranken nach jedem Satz ein Bier. Dann kamen unsere Freundinnen, und wir gingen zu Renato, wo er kochte und das Abendessen zu einer Zeit servierte, zu der ich normalerweise frühstücke.
Wenn man weiß, wie loyal die Süditaliener gegenüber ihren Stränden sind, war es eine enorme Leistung, dass wir Renato und seine Freundin überzeugen konnten, »ihren« Strand zu verlassen und uns eines Vormittags am La Botte Gesellschaft zu leisten. Wir hätten uns allerdings keinen ungeeigneteren Vormittag dafür aussuchen können, denn als unsere Besucher auftauchten, waren nur wenige im Wasser, weil Polizeiboote nach zwei italienischen Polizisten und einem Albaner suchten, die vermutlich ertrunken waren. Hubschrauber der Küstenwache schwebten über dem Wasser und sorgten für eine Szene, die eher an einen Hollywoodfilm als an einen Tag am Meer erinnerte. Außer uns eine Taucherbrille mit Schnorchel aufzusetzen und uns an der Suche zu beteiligen oder Eiscreme zu kaufen und zuzusehen gab es wenig, was wir tun konnten. Die Männer wurden seit drei Uhr morgens vermisst, und niemand rechnete mit guten Nachrichten.
Ein ruhiges Meer und eine klare Nacht hatten den Schleusern perfekte Bedingungen dafür geliefert, ihre menschliche Fracht über die schmalste Stelle des Meeres zwischen Albanien und Italien zu schmuggeln. In der Nähe von Andrano sind es gerade mal 75 Kilometer bis auf die andere Seite, und je nachdem, mit welcher Mafia man zusammenarbeitet, kostet die Überfahrt um die 3000 Dollar. Schnellboote verlassen Albanien nach Mitternacht und erreichen kurz darauf italienische Gewässer, wo die Küstenwache und die Guardia di Finanza alles tun, um sie aufzuspüren.
Meine Erfahrungen bei der Einreise nach Italien haben mir allerdings gezeigt, dass schon an den Flughäfen lasch kontrolliert wird. Als ich einmal aus Prag nach Rom zurückkehrte, sah ich, dass der Einreiseschalter nicht besetzt war. Da ich den Flughafen inzwischen gut kannte, ging ich zu einem nahe gelegenen Büro, wo ich drei Polizisten störte, die sich um einen winzigen Fernseher versammelt hatten. Ich hielt meinen Pass hoch, aber die Beamten waren nicht interessiert. »Gehen Sie einfach durch«, sagte einer. »Michael Schumacher ist gerade dabei, wieder einmal Weltmeister zu werden.«
Angesichts der mangelhaften Flughafenkontrollen werden sich die Schleuser wohl kaum vor verlassenen, im Schutz der Dunkelheit daliegenden Stränden fürchten. Einmal gelandet, betteln, leihen oder stehlen die clandestini Geld, um weiter nach Norden zu gelangen. Aber das Glück, einen Platz auf dem Boot zu ergattern, ist noch lange keine Erfolgsgarantie, wie die Leichen von sechs Kurden an einem Straßenrand im Salento demonstrierten. Die illegalen Einwanderer hatten sich in einem griechischen Laster mit dem Ziel Mailand versteckt. Aber ihr Versteck war nicht von den Abgasen isoliert gewesen, und alle sechs erstickten jämmerlich. Als der Fahrer begriff, was geschehen war, fuhr er von der Hauptstraße ab und entsorgte die verdorbene Fracht in einer Haltebucht – einer über dem anderen, wie Zementsäcke.
Noch mehr Menschen sterben, bevor sie überhaupt wieder festen Boden unter den Füßen haben, da die Passagiere manchmal vor der Küste ins Wasser geworfen werden, damit die Schleuser nicht von der Polizei entdeckt werden.
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