Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
Nach Sichtung eines Bootes kam es auch schon vor, dass ein Baby ins Wasser geworfen wurde, damit der Polizei nichts anderes übrig bleibt, als die Verfolgung aufzugeben und einen Rettungsversuch zu unternehmen, während die Banditen längst wieder in Albanien sind. Kommt es dennoch zur Verfolgung, besteht die Verzweiflungstaktik darin, das Polizeiboot zu rammen. Genau das war auch an jenem Morgen passiert, als Renato und seine Freundin La Botte testen wollten. Durch den Zusammenprall waren drei italienische Polizisten und ein Albaner über Bord gegangen. Einer der Italiener konnte gerettet werden, aber die anderen drei wurden nie gefunden.
Das Mittelmeer verwandelt sich immer mehr in einen Friedhof, da bei dem Versuch, Europa durch die Hintertür zu betreten, jährlich um die 2000 Menschen sterben. Sie kommen nicht nur in kleinen Nussschalen, sondern auch in großen, überfüllten, seeuntauglichen Gefährten, die entweder auf Grund laufen und von der Mannschaft im Stich gelassen werden oder bei rauer See leckschlagen. Wenn man den Fernsehnachrichten glaubt, vergeht selten ein Tag, an dem nicht ein alter Frachter in italienischen Gewässern gesichtet wird, dessen Crew den Motor zerstört hat, um sich dann zwischen den anderen Passagieren zu verstecken. Dann haben die italienischen Behörden keine andere Wahl, als das in Seenot geratene Gefährt an Land zu ziehen. So viel zu einem gutmütigen Italien, das oft für sein Staatsoberhaupt kritisiert, aber selten für sein gutes Herz gelobt wird.
Die Taucher suchten das Meer vor La Botte noch tagelang ab, während Renato und seine Freundin längst an ihren Strand zurückgekehrt waren und sich geschworen hatten, nie mehr fremdzugehen. Aber Daniela und ich hielten der Piazza am Meer die Treue und genossen ein Leben, bei dessen Entdeckung weniger Glückliche sterben mussten. Doch zu wissen, dass die Hölle so nah war, vergällte uns das Paradies, und ein berauschender Sommer nahm ein ernüchterndes Ende.
Nach dem Atomunglück von Tschernobyl rieten Ärzte Kindern aus der verstrahlten Zone, einige Zeit in einem warmen Klima zuzubringen. So kam es, dass Andrano drei Jahre lang jeden Sommer dreißig russische Kinder beherbergte. Eines davon wurde von Danielas Familie aufgenommen. Eines Nachts hörte Daniela, wie Olga im Bett weinte, und ging zu ihr, um das Mädchen zu trösten.
»Bist du traurig, weil du wieder nach Hause willst?«, fragte Daniela.
»Nein«, entgegnete Olga. »Ich bin traurig, weil ich bleiben will, aber nicht darf.«
Gegen Ende meines zweiten Sommers in Andrano musste Daniela getröstet werden, als sie nachts wach lag, sich Sorgen um die Zukunft machte und unsere Entscheidung, Mailand zu verlassen, hinterfragte. Ich beruhigte sie, so gut ich konnte, indem ich sagte, dass mir ihr Dorf zur zweiten Heimat geworden sei und ich meine Entscheidung zu bleiben keine Sekunde bereut hätte, zumindest noch nicht. Keine Ahnung, ob ich die Wahrheit sagte, aber in dem Moment dachte ich an die Menschen, die alles darum geben würden, in Andrano leben zu können, und schwor mir, alles zu versuchen, um das Leben hier zu genießen.
17
Der einheimische Ausländer
A ls ich aus London anrief, erzählte mir Danielas Mutter, dass ich italienischer sei als ihre Tochter. Und als ich nach Andrano zurückkehrte, merkte ich, dass sie Recht hatte. Nicht, weil ich morgens nicht ohne Kaffee, mittags nicht ohne Pasta und am Nachmittag nicht ohne Siesta auskomme, sondern weil ein Spengler vorschlug, die Versicherungsgesellschaft zu betrügen, um unser Auto zu reparieren – und ich einwilligte.
Das Erste, was man tun muss, wenn man nach Italien zieht, ist, die Telefonnummer eines Spenglers im Handy zu speichern, um sie nicht ständig nachschauen zu müssen. Egal, wie gut man Auto fährt, man wird Unfälle bauen. Sie sind Teil einer Lernkurve, die, wie die meisten Kurven in Italien, mit hoher Geschwindigkeit genommen werden. Italiener werden heißt mit den Händen reden und den Füßen fahren. Aber es ist nicht die Fahrweise, die einen zum Italiener macht, sondern die Art, wie man Autoreparaturen managt.
Mein erster Unfall geschah weniger als einen Monat nach meiner Ankunft in Italien, als mir ein Auto auf Tricases chaotischer Piazza Cappuccini den Weg abschnitt. Ich fuhr dem Opel Corsa hinten drauf, dessen Fahrer alle Schuld auf sich nahm, aber Daniela drängte, keine Zeit, kein Geld und keine Geduld an eine Versicherungsgesellschaft zu verschwenden. Stattdessen bot er
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