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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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Die Idee war erfolgreich. Der Bürgermeister war schließlich kein Dummkopf: Er hatte von Italienern nicht verlangt zu schweigen.
    Aber solange es noch Männer wie den compare gibt, der Andrano nur einmal verlassen hat, um in den Krieg zu ziehen, und der den Dialekt zum Überleben braucht, lebt »das Land der tausend Dialekte« weiter. Wie kann man solche Männer als ungebildet bezeichnen? Die Kenntnisse des compare der einzigen Sprache, die er je gebraucht hat, sind so umfassend, dass ihn die meisten jüngeren Einwohner von Andrano gar nicht mehr verstehen. Nicht weil er ihre Sprache nicht spricht, sondern weil sie die seine nicht sprechen. Sogar Daniela, eine Akademikerin, besitzt ein kleineres Vokabular als dieser vermeintlich ignorante alte Mann.
    Der compare machte sich nicht die Mühe, den Kofferraumdeckel zuzubinden. Er fuhr ja nicht weit, war nie weit gefahren und würde es wohl auch niemals tun. Er murmelte irgendwas, hupte einmal und bog um die Ecke, um zu Hause Fahrräder zu reparieren, die genauso verrostet waren wie er selbst.
    »Wie lange dauert die Reparatur, hat er gesagt?«, fragte ich Daniela.
    »Keine Ahnung«, sagte sie. »Geben wir dem alten Herrn eine Woche.«

18
     
    Gesunder Menschenverstand? Nie gehört!
     
    D aniela hatte mir Alberobello schon eine ganze Weile zeigen wollen. In den Weinbergen über Brindisi steht dieser mittelalterliche Ort aus trulli – Häuser mit kegelförmigen Dächern aus übereinandergestapelten Steinen. Ihr Design garantiert, dass sie sich in der Zeit abtragen lassen, die der Grundsteuerinspektor benötigt, um sein Pferd anzubinden. Kein Haus, keine Steuer. Ganz einfach.
    Heute gehört Alberobello zum UNESCO-Weltkulturerbe, und die trulli sind unantastbar. Leider kann man das nicht von Renatos Alfa sagen, der gestohlen wurde, während wir die Sehenswürdigkeiten besichtigten. Als wir zu einem leeren Parkplatz zurückkehrten, schlug Daniela vor, die carabinieri zu rufen. »Bitte nicht«, flehte Renato sie an. »Der Tag war auch so schon bescheuert genug. Warum ihn noch schlimmer machen?«
    Die italienische Polizei mag unmöglich sein, aber die Italiener sind auch unmöglich zu ihrer Polizei. Wie sollen die carabinieri beispielsweise napoletani überwachen, die, einen Tag nachdem das Anschnallen Pflicht wurde, mit T-Shirts durch Neapel fuhren, auf die diagonal ein Sicherheitsgurt aufgedruckt war? Und wie können sie es vermeiden, sich lächerlich zu machen, wenn sie auf die Einhaltung von Gesetzen pochen müssen, die so idiotisch sind, dass man sie regelrecht umgehen muss? So wie jenes, das festlegt, dass keine Beerdigung länger als 80 Minuten dauern darf, oder jenes, das es für illegal erklärt, Hausmüll außerhalb der Zeit zwischen 19 und 5 Uhr zur Gemeindetonne zu bringen. So ein Gesetz gehört selbst auf den Müll, aber natürlich nur innerhalb des dafür vorgesehenen Zeitraums. Ein weitsichtiger Politiker schlug doch tatsächlich ein Gesetz vor, dem zufolge das Parlament täglich ein überflüssiges Gesetz abschaffen muss. Seine Idee wurde entweder nicht angenommen, oder aber sie war das erste Gesetz, das abgeschafft wurde.
    Im Städtchen Galatone unweit von Lecce werden Pferde auf Viehmärkten verkauft. Während der BSE-Krise verkaufte sich das Pferdefleisch fantastisch und führte zu einem Schwarzmarkt mit gestohlenem Vieh. Ein Gesetz wurde erlassen, das es erforderlich machte, dass jedes Pferd, genau wie sein Eigentümer, Papiere dabeihaben muss, mit denen es sich jederzeit ausweisen kann. Schwer zu sagen, wer in den Nachrichten eine schlechtere Figur machte: Der carabiniere , der nach dem Ausweis eines Pferdes fragte, oder der ungebildete Pferdebesitzer, der nur Dialekt sprach und sich angesichts einer dermaßen bizarren Aufforderung nur am Kopf kratzte. Beide Parteien starrten sich nur verständnislos an und gestikulierten heftig – eine typisch italienische Pattsituation, die aus gegenseitigem Unverständnis entsteht. Wer war im Unrecht? Der carabiniere , der das Gesetz durchsetzte? Der Pferdehändler, der das Gesetz umging? Oder die Regierung, die das Gesetz verabschiedet hatte? Daniela meinte, alle drei seien im Unrecht, der einzig Unschuldige sei das arme Pferd, nach dessen Schlachtung sich das ganze Problem ohnehin erübrige.
    Bei dem Versuch, ihr schlechtes Image zu verbessern, veröffentlicht die Presseabteilung der carabinieri jedes Jahr einen Kalender, der ähnliche Heldentaten zeigt wie die an den Wänden des Reviers in Loritano. Sie gab auch

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