Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
eine Konfrontation mit der Polizei mit Beleidigungen beginnt und mit einem Schwatz über Essen und Rezepte aufhört? Wo man die Grenze zwischen Wahnsinn und Glück mit schöner Regelmäßigkeit übertritt? Nicht, wo der gesunde Menschenverstand regiert.
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Freccia
E in Luftwaffenjet verließ die Formation, um Solo-Stunts zu fliegen. Er schoss laut über den Himmel, knapp über dem Liebespaar, das sich im hüfthohen Wasser leidenschaftlich küsste und mit seinen Zungen ganz eigene Formationen bildete. Eine Flugzeugshow? Was für eine Flugzeugshow? Manche Italiener kann wirklich nichts von ihren sommerlichen Vergnügungen abbringen.
Wir anderen konnten den Blick gar nicht vom Himmel abwenden. Tausende von Zuschauern hatten die Plakate ignoriert, auf denen stand, es sei unmoralisch, sich von solchen »Todesmaschinen« amüsieren zu lassen, und sich am Strand von San Cataldo unweit von Lecce versammelt, um das Akrobatenteam der italienischen Luftwaffe, Le Frecce Tricolori – die dreifarbigen Pfeile – zu bewundern.
Da ich selbst Kunstflieger bin – leider eines der teuersten Hobbys der Welt -, hatte ich Daniela zu der Show mitgenommen, in der Hoffnung, angenehm überrascht zu werden. Beim Formationsfliegen muss man perfekt kooperieren, etwas, das ich in Italien bisher eher selten erlebt hatte. Kein Wunder, dass Le Frecce Tricolori für eine der schlimmsten Flugzeugshowkatastrophen überhaupt verantwortlich waren, als 1988 im deutschen Ramstein drei Flugzeuge bei einem Formationsmanöver zusammenstießen und ein Flugzeug in die Menge katapultierten, wobei 70 Menschen umkamen und 400 verletzt wurden. Aber die heutige Vorführung war einwandfrei. Die einzigen Fastzusammenstöße fanden anschließend auf den Ausfallstraßen statt, wo Autos und Vespas bei einer Wette, wer am schnellsten zu Hause ist, waghalsige Solo-Stunts der ganz eigenen Art vollführten.
Daniela und ich kamen nach Hause, wo uns vor unserem Tor gleich zwei ungewöhnliche Anblicke erwarteten: Pippos Fiat fehlte, aber dafür hatte sich ein zitternder, dreckiger, völlig abgemagerter Hund eingefunden, der sich nur noch mit Mühe auf den Beinen halten konnte und seinen Mitleid erregenden Kopf gesenkt hatte, als warte er auf das Fallbeil einer Guillotine. Schon eine leichte Brise hätte genügt, um den halbtoten Hund umzuwehen. Ihn wegzuscheuchen war genauso sinnlos, da er so schwach war, dass er ohnehn nur in meine Arme gefallen wäre.
Obwohl es sich um einen mittelgroßen Hund handelte, wog er kaum mehr als ein paar Kilo, die hauptsächlich Flöhen und Zecken geschuldet waren. Selbst heute zucke ich noch zusammen, wenn ich an den Anblick dieses moribunden Mischlings denken muss: ein zerbrechliches Weibchen, dem die Zunge seitlich aus dem Maul hing. Ihre Augen waren verklebt und ihre Nase von zähem Schleim verstopft. Sie war nur noch ein schwer atmendes Skelett, das Fell fiel ihr in Büscheln aus, und Rippen und Hüftknochen standen genauso vor wie die Wirbelsäule, die aussah wie der Griff einer Handtasche, an dem wir sie gleich am nächsten Morgen zum Tierarzt bringen wollten, falls sie nicht noch in der Nacht starb.
Ich trug das Federgewicht in den Garten und legte die Hündin auf ein Handtuch vor der Hintertür. Jeder mühsame Atemzug schien ihr letzter zu sein, und ich muss zugeben, dass ich hoffte, dem wäre auch so. Sie zeigte keinerlei Interesse an Nahrung oder Wasser, so als wisse sie schon gar nicht mehr, was das sei. Aber für alle Fälle stellte ich ihr doch etwas hin. Sie schien es im Liegen genauso unbequem zu haben wie im Stehen, sodass ich, als Daniela gerade nicht hinsah, ein Kissen aus ihrer Abstellkammer klaute. Wir nannten sie nach den dreifarbigen Pfeilen, die wir am Nachmittag bewundert hatten, Freccia – Pfeil, auch wenn wir nicht glaubten, dass sie lange genug überleben würde, um sich diesen Namen zu merken.
Mahatma Gandhi hat einmal gesagt, dass man ein Land danach beurteilen kann, wie es seine Tiere behandelt. Anhand von Freccia hätte er ein verheerendes Urteil über Italien gefällt. Dass die Italiener ihren Müll auf die Straße werfen, kann ich gerade noch tolerieren, aber nicht, wenn dieser Müll noch lebt. Freccia war der Abfall jener egoistischen Hundebesitzer, die es schaffen, jeden Sommer 400 000 Haustiere auszusetzen, nur um ungestört Urlaub machen zu können. Für viele Italiener sind Hunde und Katzen nichts als Wegwerfartikel, die unter Brücken, im Gebüsch oder an Leitplanken gebunden
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