Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
umzugehen, und ignorierten lieber, wie er auf dem Gartenweg stand und an den Sträuchern knabberte. Ich fand das unsensibel, bis einer seiner engsten Freunde, der Vizebürgermeister von Andrano, mir ihr Verhalten erklärte. »Du hast Glück, Crris«, sagte er. »Großes Glück. Du kanntest Franco nicht, als es ihm noch gut ging. Denn sonst hättest du jetzt auch Probleme damit, ihn in diesem Zustand zu sehen. Er war so ein intelligenter Mann. So geistreich und kreativ. Man kann unmöglich akzeptieren, was da gerade mit ihm geschieht. Ich habe sämtliches Vertrauen verloren.«
Als Franco 1938 geboren wurde, wurde die Burg von Andrano noch von ihren letzten Besitzern, der Familie Caracciolo, bewohnt. Francos Tante arbeitete und wohnte als Kindermädchen auf der Burg und kümmerte sich um sämtliche Bedürfnisse ihrer jungen Schutzbefohlenen, der Prinzessin Ippolita. Als Gast seiner Tante verbrachte Franco einen Großteil seiner Kindheit auf der Burg, wo er lernte, eine Reihe von Musikinstrumenten zu spielen, darunter auch Geige und Klavier. In der königlichen Bibliothek gab es Bücher, die ihm von seiner Tante vorgelesen wurden, die sich um ihren Neffen ebenso kümmerte wie um die Prinzessin.
Als Sohn religiöser Eltern wurde Franco im Alter von zwölf Jahren ins Priesterseminar nach Otranto geschickt, eine mittelalterliche Stadt nördlich von Andrano. Anders als bei seiner halbköniglichen Erziehung bekam Franco dort intellektuelle Scheuklappen aufgesetzt und musste eine Tunika tragen, die er erst ausziehen durfte, wenn er schon unter der Bettdecke lag oder das Licht in seinem Schlafsaal gelöscht war. Man las seine Tagebücher und zensierte seine Briefe. Aber um seinen Eltern einen Gefallen zu tun, ertrug Franco seine kirchlichen Diktatoren, bis zu jenem Tag, als er einen Fußball in einen Bach schoss, seine Tunika mit Schlamm bespritzte und sich eine Ohrfeige einfing, die ihn für eine Woche ertauben ließ. Bei seinem nächsten Besuch zu Hause beschwerte sich Franco bei seinen Eltern, die ihren Sohn daraufhin vom Priesterseminar nahmen und ihm eine konventionellere Erziehung angedeihen ließen, bei der die Schüler ihrer eigenen Berufung folgen und nicht der ihrer Lehrer.
Als er achtzehn war und die meisten Ialiener wegzogen, um ihren Familien, aber nicht sich selbst zu helfen, zog Franco nach Lecce, um dort aufs Konservatorium zu gehen. Er wurde für seinen Egoismus und seinen Ehrgeiz kritisiert, aber auch bewundert – Reaktionen, die ihn sein Leben lang begleiten sollten. Nach seinem Universitätsabschluss unterrichtete er Musik in einem süditalienischen Bergdorf unweit von Cosenza, wo er eine italienische signorina kennenlernte und heiratete, die nach ihrem Weggang aus Alcamo an derselben Schule unterrichtete wie er.
Wenn Franco länger als ein Jahr an einem Ort blieb, langweilte er sich, also zogen die Frischverheirateten um, sooft sie konnten. Jahrelang schleifte Franco Valeria quer durch den Absatz des italienischen Stiefels, bis die Geburt von Daniela und Francesco ihrem unsteten Leben ein Ende bereitete. In den nächsten acht Jahren lebte die junge Familie in einem kalabresischen Küstenort, bis Franco eines Morgens aufwachte und verkündete, er habe wieder Hummeln im Hintern.
Zur selben Zeit, als Franco beschloss umzuziehen, erhielt er ein Überraschungsgeschenk von seiner Tante in Andrano. Der Prinz hatte ihr nämlich etwas Land auf dem Burggelände vermacht, das sie wiederum ihrem Lieblingsneffen vererbte. Obwohl Franco eigentlich vorgehabt hatte, nach Florenz, in die Stadt seiner künstlerischen Ambitionen zu ziehen, freute er sich, über seinen Heimatort dorthin zu reisen: Er wollte das Geschenk annehmen, ein Haus auf dem Grundstück bauen und es dann verkaufen, um seinen Umzug nach Norden zu finanzieren. Das war ein höchst unitalienischer, spontaner Plan mit ungewissem Ausgang, der niemanden mehr begeisterte als Franco.
Francos Mutter freute sich auf die Ankunft ihres Sohnes und hoffte, sie sei von Dauer. Sie hatte ihren Mann an Lungenkrebs verloren, als Franco fünfundzwanzig war. Anschließend hatte sie ihren Sohn kaum noch gesehen, denn der hatte nach dem tragischen Verlust seines Vaters nur noch den Wunsch gehabt zu fliehen. Bei seiner Rückkehr nach Andrano drückte Franco seine Gefühle gegenüber seinem Geburtsort und seiner Familie in einem Gedicht aus, das Daniela an ihrer Schlafzimmerwand hängen hat:
Ho perquisito le rughe della mia terra
ed ho scoperto i colori caldi del sud
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