Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
Versprechen von Sicherheit und wie ich dankbar über ihre sandpapierrauen Pfoten strich. Ich hatte seit meinem Umzug nach Italien schon einige unangenehme Dinge erlebt, aber bei Freccias Tod brach ich zum ersten Mal in Tränen aus. Aber nicht nur Freccia brach mir das Herz, sondern auch die Millionen anderen ausgesetzten Hunde in Italien, die nie die Chance hatten, ihre Nasen durch mein Tor zu stecken.
Wenn ich an Freccia zurückdenke, glaube ich, dass sie mich ebenso gerettet hat wie ich sie, da wir im Grunde beide Streuner in Andrano waren. Vielleicht sucht derjenige, der einen Hund adoptiert, genauso sehr nach einem Gefährten wie der Hund. Ich fühlte mich in Italien oft isoliert, und zwar eher seelisch als körperlich. Egal, wie gut ich mich anpasste, ich war in jeder Hinsicht anders, angefangen von meinem Humor bis hin zu meiner Fähigkeit, Schlange zu stehen, ohne einen Streit vom Zaun zu brechen. In soziologischer, kultureller, ja sogar in religiöser Hinsicht hatte ich einen sehr unorthodoxen Blick auf die meisten Dinge. Freccia war die Einzige, die mich nicht daran erinnerte, wie fremd ich hier war. Ich tauschte Essensreste gegen ein stilles Einvernehmen, das so kostbar war, dass es sich mit Worten kaum beschreiben lässt. Sie war eine Gleichgesinnte, die mir Gesellschaft leistete und mir das Gefühl gab, zu Hause zu sein. Sie fraß sogar Toast mit Vegemite und war somit die einzige Italienerin, die ich von dieser delikaten Hefepaste überzeugen konnte.
Bevor Freccia vor dem Tor gestanden war, hatte es »mich« und »die anderen« gegeben, danach nur noch »uns« und »die anderen«. Daniela war meine Freundin, aber Freccia war meine Verbündete. Man kann die ganze Welt bereisen, die unterschiedlichsten Menschen kennenlernen, aber egal, wo man hinkommt, Hunde sind überall gleich. Man braucht sie nur zu streicheln und ihnen eine Schüssel mit Futter hinzustellen, und sie weichen einem nicht mehr von der Seite, solange sie leben. Und solange ich lebe, werde ich den hungrigen Hund in Erinnerung behalten, dem Freundschaft über Futter ging, jenen einfarbigen Pfeil, der mein Herz durchbohrte.
In einer kargen Landschaft aus Kalkstein ein Grab ausheben zu wollen ist nahezu unmöglich. Nach einer ausgedehnten Suche nach weichem Boden, einschließlich mehrerer gescheiterter Versuche, bei denen meine Zähne knirschten und meine Schaufel verbogen wurde, entdeckten wir ein ebenso passendes wie schönes Fleckchen in einem Olivenhain auf der Landzunge hinter dem Torre del Sasso, dem Aussichtsturm mit Blick auf La Botte und das Blau des Mittelmeers.
Die Sonne ging gerade unter, als wir Freccia zwischen den jahrhundertealten Olivenbäumen begruben und ihnen diesen leichtfüßigen Racker für die nächsten Jahrtausende übergaben.
20
Il professore – ein untypischer Italiener
V aleria hatte drei Monate auf Sizilien verbracht, und wenn sie noch einen Tag länger geblieben wäre, wäre sie da gewesen, als ihre neunzigjährige Mutter im Schlaf starb. Aber so hatte sie ihren Koffer in Andrano gerade ausgepackt, als sie ihn auch schon wieder packen und den ersten Bus zurück nach Alcamo nehmen musste. Dort nahm sie an der Beerdigung teil und behielt ihre Schwestern im Auge, damit der Grundbesitz gemäß dem letzten Willen seiner Eigentümerin gerecht aufgeteilt wurde. Sie war zehn Tage weg, in denen ich für Franco sorgte, da Daniela wieder arbeiten musste. So erlebte ich, wie sich ein Mann die Nase brach, weil er versuchte, in einen Spiegel hineinzugehen, ein Spiegel, der mir ein Stück von Francos Leben widerspiegelte, aber auch das von Andrano. In dieser provinzlerischen Enge hatte Danielas Vater einen Großteil seines gesunden Lebens verbracht und stets versucht, daraus auszubrechen.
Alzheimer stellt die Geduld des Pflegers auf eine harte Probe, eine Charaktereigenschaft, die ich bis zu meinem zehntägigen Crashkurs mit Franco nicht gerade im Übermaß besessen hatte. Oder benötigte man vielmehr Ausdauer – die Fähigkeit, optimistisch zu bleiben, während man den langsamen Weg in den Tod eines alten Mannes so angenehm wie möglich gestaltet? Das Erniedrigende an dieser Krankheit besteht darin, dass sie den Betroffenen nicht umbringt, sondern auf einen schemenhaften, unnützen und unbeherrschbaren Körper reduziert, der nur noch sterben will, aber atmet wie am Tag seiner Geburt. Die mysteriöse Krankheit ist ein schmerzliches Warten auf das Unausweichliche. Das gilt nicht nur für den Patienten, sondern
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