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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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führte statt er sie, begriff ich erst, was für ein passender Heiratsort die Burg war. Franco war in diesem antiken Gemäuer aufgewachsen, und genau in diesem Zimmer hatte er gelernt, Geige zu spielen. Wenn es ihm gut gegangen wäre, hätte er auf der Hochzeit seiner Tochter bestimmt seine Lieblingssonate vorgespielt. Doch hier war er nun, unfähig, die Treppe hochzusteigen, die er als Junge heruntergesaust war, den Kopf voller Musik, das Leben voller Verheißungen. Als er sich Zentimeter für Zentimeter fortbewegte und in seinem Anzug wie geschrumpft aussah, galt der Applaus genauso sehr ihm wie seiner Tochter. Und obwohl ihm das Laufen Mühe machte, funkelten seine Augen lebhafter als sonst. Die Umgebung mochte ihm entfallen sein, aber an seinem Strahlen sah man, dass er begriffen hatte, wie besonders der Moment war.
    Gäste drängten hinter der Braut und ihrem eingefallenen Begleiter in den Raum, bevor Daniela Franco zu Valeria führte, die den Rest des Abends, ja den Rest seines Lebens seinen Arm halten würde. Ich hatte mich gerade erst von dem nachmittäglichen Fiasko erholt. Doch jetzt verlor ich erneut die Fassung, als Daniela von meiner Hand und dem Platz neben mir Besitz nahm. Hätte ich auch nur ein Wort herausgebracht, ich hätte ihr zugeflüstert, dass sie fantastisch aussieht. Aber ich hatte einen Kloß im Hals und kämpfte mit den Tränen. Ich musste an den Abend denken, an dem wir uns in diesem verqualmten irischen Pub kennengelernt hatten und ich wie magisch von dieser lebhaften Person inmitten eines verschwommenen Publikums angezogen worden war.
    Ich habe Daniela immer gesagt, dass sie eine natürliche Schönheit besitzt, die Schminke nur zerstören kann. Also freute ich mich, dass sie es an unserem Hochzeitstag mit dem Make-up nicht übertrieben hatte und zuließ, dass ihre lakritzfarbenen Augen und ihre sonnengebräunte Haut für sich selber sprachen. In ihre Haare waren Blüten im Elfenbeinton ihres Kleides geflochten, das sommerlich, schmal und mit Perlen besetzt war. Als ich sie so süß und stilvoll vor mir sah, fühlte ich mich glücklicher, aber auch ängstlicher denn je. Daniela zu heiraten bereitete mir gemischte Gefühle. Es bedeutete, meine Liebe zu einer Frau öffentlich zu machen, zu einer Frau, die mich seit unserem Kennenlernen glücklich machte, aber auch gefährdete.
    Der unerwartete Preis für meinen Umzug nach Italien bestand in einem Gefühl der Entfremdung, das ich fern von meiner Heimat und meinen Freunden empfand. Mein Leben, wie ich es vor meinem Umzug nach Italien gewohnt war, kam mir inzwischen fremd vor, aber dasselbe galt für mein italienisches Leben. Anstatt mich in zwei Ländern zu Hause zu fühlen, fühlte ich mich wie ein Nomade, der weder hier noch dort heimisch ist. Ich lebte in einer Art Zwischenreich, hin- und hergerissen zwischen Italien und Australien.
    Was sagt ein Name über jemanden aus? Eine ganze Menge. Chris aus Sydney und Crris aus Andrano waren zwei vollkommen unterschiedliche Menschen. Ihre Namen wurden unterschiedlich ausgesprochen, sie sprachen verschiedene Sprachen mit verschiedenen Akzenten, hatten einen unterschiedlichen Modegeschmack, einen unterschiedlichen Sinn für Humor, sie aßen unterschiedliches Essen zu unterschiedlichen Zeiten, fürchteten sich vor unterschiedlichen Dingen und genossen unterschiedliche Vergnügungen. Chris, der Pilot und Surfer, liebte die Natur und verachtete den Zigarettengestank, während Crris, der Kaffeesüchtige, manchmal zehn Glimmstengel pro Tag rauchte. Crris sprach mit lauter Stimme – etwas, das Chris’ Freunde irritierte. Und Chris mochte keine Menschen, die einen unterbrechen – etwas, das für Crris überlebensnotwendig war. Es handelte sich also um zwei völlig unterschiedliche Personen, die sich unter normalen Umständen nicht besonders gut verstanden hätten. Tatsächlich bestand ihre einzige Gemeinsamkeit darin, dieselbe Frau zu lieben.
    Statt die Distanz zwischen unseren Welten zu verringern, wurde sie von unserer Liebe nur noch betont. Daniela und ich waren uns einig, dass wir uns eine gemeinsame Zukunft wünschten, auch wenn wir immer unterschiedlich sein würden. Daniela und Chris konnten niemals gleichzeitig vollkommen glücklich sein. In Australien litt Daniella – was sich ganz anders anhört als Daniela – unter derselben Schizophrenie, der Crris in Italien ausgesetzt war. Damit wir zwei zusammen sein konnten, musste einer seine Identität opfern. Aber die Liebe ist es wert, weshalb

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