Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
Gräber eher über als unter der Erde. Särge werden in die Zementstruktur geschoben wie Schubladen in eine Kommode und dann mit einer Marmorplatte versiegelt, auf der eine kurze Biographie und ein Foto des Verstorbenen prangen, normalerweise in Schwarzweiß. Die Stockwerke eins bis drei sind vom Boden aus zu erreichen, während eine erhöhte Metallplattform Zutritt zu den Stockwerken vier bis sechs gibt. Von ihrer Position aus genießen die Toten von Andrano einen Blick auf jene Felder, auf denen die meisten von ihnen wie Tonio ihr ganzes Leben lang geschuftet haben. Angesichts ihres Berufs scheint man ihnen die Umarmung von Mutter Erde unrechtmäßig vorzuenthalten. Die einstige Lebensgefährtin sollte sie wenigstens auch in den Tod begleiten.
In der Nähe der Hauptkapelle des Friedhofs, an deren Wänden sich ebenfalls sterbliche Überreste stapeln, liegen die privaten Gräber der königlichen Familien, die in Andranos Burg gelebt haben und dort gestorben sind. Das Grab, das der Kapelle am nächsten liegt, gehört der Familie Caracciolo und enthält neben vielen anderen auch die Prinzessin Ippolita, nach deren Tod im Jahr 1963 die Burg vom municipio erworben worden war. Danielas Großmutter war eine Vertraute von Ippolita gewesen. Bis sie der Prinzessin für immer Gesellschaft leistete, pflegte sie das königliche Grab regelmäßig zu reinigen, das heute verstaubt und verwahrlost ist.
Als Tonios Sarg zur Aussegnung in die Kapelle gebracht wurde, flüsterte mir Daniela zu, dass sie ihr Soll als Vertreterin ihrer mamma nunmehr erfüllt habe. Sie schlug vor, schwimmen zu gehen, solange uns die Sonne noch schneller trocknete als jedes Handtuch. Wir verabschiedeten uns leise und gingen nach Hause, während wir die Glocke der Kapelle und die Zikaden in den Olivenbäumen singen hörten.
Als wir schließlich auf Danielas Terrasse saßen und zusahen, wie die Sonne hinter der Stadt versank, verblüffte ich Daniela mit dem Satz, dass es mir leidtäte, Andrano zu verlassen. Ich wäre gern noch länger geblieben, um zu sehen, wie der Herbst die ausgeblichenen Farben satter werden lässt. Um Signor Apis Winterlebensweisheiten zu hören und an der Mitternachtsmette an Silvester teilzunehmen. Aber Daniela war wesentlich weniger sentimental, was unseren bevorstehenden Abschied betraf. Sie versicherte mir, dass diejenigen, die nach Andrano zurückgeeilt waren, den Ort Ende August, wenn die Sonne und der Geschmack der Wassermelonen nachließ, genauso eilig wieder verlassen würden. Ironischerweise empfanden die Andranesi nicht den Sommer mit Temperaturen um die 40 Grad als unangenehm, sondern den Winter. Der Sommer brachte Leben in den Salento, während man den Winter damit verbrachte, auf seine Rückkehr zu warten.
Mailand und die Arbeit warteten auf uns. Aber was wurde aus Andrano? Heute gab es noch eine Beerdigung, und zwei andere Einwohner würden ebenfalls bald fortgehen. Wieder einmal würde Don Francesco in der Neujahrsmesse nichts Gutes zu berichten haben.
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Die Anzeige
Z wei Kilometer von Andrano entfernt liegt an einem unausgeschilderten Weg, wo sich die Füchse und ziemlich dicke Mäuse gute Nacht sagen, ein Restaurant namens Pietralata. Seine Tische stehen unter dreihundert Jahre alten Olivenbäumen. Nach einem faulen Tag am Meer gibt es nur wenige so simple und preiswerte Vergnügungen wie ein Glas Wein, eine Partie Tischfußball und Pizza unter den Sternen. Pietralata ist das inoffizielle Italien hoch vier: ein nettes Gespräch, ein Satz Spielkarten, Artischockenherzen und Mondlicht.
Nachdem wir schon viele Sommerabende an den wackligen Tischen von Pietralata verbracht hatten, erschien uns das lässige Pizzalokal als der beste Ort, um uns von Danielas Freunden und Kollegen zu verabschieden. Und wie immer hatten wir einen herrlichen Abend, bis die Rechnung kam und Daniela feststellte, dass ihre Handtasche verschwunden war. Normalerweise hätte ich gezahlt, nur dummerweise hatte ich mir angewöhnt, meinen Geldbeutel zu Hause zu lassen. Dermaßen triviale Gegenstände gehörten zu dem durchorganisierten Leben, das ich vor mehreren Monaten hinter mir gelassen hatte. Ich war zu einem Mann geworden, der sich aushalten ließ und weder einen eigenen Wohnungsschlüssel besaß noch mit seinen Taschen etwas anderes anzufangen wusste, als die eigenen gebräunten Hände hineinzustecken. Zum Glück kannte Daniela die Besitzer und konnte ein andermal zahlen.
Am nächsten Morgen lag Danielas Handtasche vor unserer
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