Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
zumindest, was bestimmte Beamte betrifft -, musste ich doch zugeben, dass sie es auch nicht gerade leicht haben, was die Komplexität eines durchschnittlichen italienischen Verbrechens bzw. die Komödie des durchschnittlichen Italienerlebens anbelangt. Zu Hause abgegebene Handtaschen verkomplizieren den simpelsten Diebstahl. Und jetzt zwang ein Gesetzeshüter auch noch jemanden, zum Gesetzesbrecher zu werden. Es fiel zwar nicht leicht, das Fiasko des vorherigen Tages zu entschuldigen, aber für jede Geschichte über einen bescheuerten carabiniere gibt es bestimmt auch einen carabiniere mit einer Geschichte über einen bescheuerten Bürger.
Der Chef füllte das Formular geistesabwesend aus und dachte an den brodelnden Vulkan im Nebenzimmer. Als er fertig war, unterschrieben er und Daniela erneut – und zwar die dritte und letzte Version eines Dokuments, das wir niemals brauchen würden, da die Diebe keinerlei Geld abgehoben hatten. Nach dem, was wir durchgemacht hatten, um den Diebstahl anzuzeigen, wünschte ich mir fast, sie hätten welches abgehoben.
Wir dankten dem Polizeichef und gingen an dem wütenden Besucher im Warteraum vorbei. Er lief wie ein Tiger im Käfig auf und ab. Angesichts der geplatzten Äderchen in seinen Augen erwartete den Chef eine schwierige diplomatische Mission. Aber er war der Aufgabe wenigstens gewachsen. Mich schauderte bei dem Gedanken, was wohl passiert wäre, wenn der Mann um sieben Uhr des Vorabends von seiner Wut überwältigt worden wäre. Nachdem er ihm erst geraten hätte, seinen Nachbarn umzubringen, damit er sich leichter täte, das richtige Formular zu finden, hätte der Untergebene bestimmt noch die Geistesgegenwart besessen, dem Mörder zu raten, in der Stadt zu bleiben – und sei es nur, um am nächsten Tag wiederzukommen, damit das Formular vom Chef unterschrieben werden könne.
8
Von Besen und Bäumen
S ignor Api wusste, dass etwas in der Luft lag, als wir seine Frage, ob er volltanken solle, mit Ja beantworteten. Und als er dann noch sah, dass Napoleon bis unters Dach mit Koffern vollgepackt war, fragte er noch eindringlicher als sonst: »Und wo soll’s heute hingehen?«
»Nach Sizilien«, entgegnete Daniela. »Und dann nach Mailand.«
» Lampo! «, rief er aus – »Potzblitz! Das klingt ja so, als ob Sie uns endgültig verlassen.«
»Ich denke schon.«
Ich stieg aus dem Wagen, um Signor Api die Hand zu geben. Daraufhin zog er mich an sich, bis ich seine ledrige Wange an meiner spürte – erst an der linken und dann an der rechten.
»Sie werden wiederkommen«, sagte er und ließ meine Hand gar nicht mehr los. »Sie beide. Und dann wird ein bambino auf dem Rücksitz sein und keine Koffer.«
»Wenn Sie meinen«, sagte Daniela.
»Mit mir hat das gar nichts zu tun. Das ist ein göttliches Naturgesetz.«
Signor Api füllte unseren Tank und leerte Danielas Geldbeutel.
»Alles Gute!«, rief er, als wir das » California « und Andrano verließen.
Und bei den 2000 Kilometern italienischen Asphalts, die noch vor uns lagen, galt sein letzter Gruß – » Buona fortuna « – Napoleon gleichermaßen.
Dass Daniela anders war als der durchschnittliche Andranese merkte ich zum ersten Mal daran, dass ihr Ferienhaus auf Sizilien lag. Viele gutbürgerliche Italiener besitzen ein Ferienhaus, häufig sogar am Meer. Aber bei den meisten Andranesi liegt es weniger als einen Kilometer von ihrem Hauptwohnsitz entfernt. Jeden Sommer beladen sie ihre Autos und rollen den Hügel zu ihren Strandhäusern hinab, wo sie die Moskito-Monate am selben Strandabschnitt verbringen wie all die Jahre zuvor. Sie schwimmen vor denselben Felsen, vor denen sie immer geschwommen sind, zwischen Menschen, die sie schon immer gekannt haben. Diesen wenig abenteuerlichen Alltag spiegelt auch der Sommerhit Stessa spiaggia, stesso mare wider – Derselbe Strand, dasselbe Meer . Er ist fast so etwas wie eine Nationalhymne und beschreibt eine Bevölkerung, die in puncto Sommerurlaub höchstens mal die Badehose wechselt.
Der Ferienalltag von Danielas Familie sah anders aus. Auch sie fuhr jedes Jahr an denselben Strand, nur war der ziemlich weit weg von Andrano. Danielas Mutter, Valeria, ist Sizilianerin. Ihr Vater, Franco, wurde in Andrano geboren, hatte aber erstaunlicherweise etwas dagegen, bis ans Ende seines Lebens ganz in der Nähe seines Zuhauses Urlaub zu machen. Er hatte absolut keine Lust, den Sommer damit zu verbringen, zwischen den beiden Häusern hin und her zu hetzen, um
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