Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
Felder mit gelbem Gras, die in der Hitze vor sich hin brutzelten, Kaktusfeigen und Olivenbäume. Dörfer waren hier genauso rar wie Wolken, und das Kreischen der Zikaden erfüllte die heiße Luft. Die Erde stand in Flammen, und trotzdem war es bezaubernd – eine einzige Fata Morgana. Bis Daniela den Ätna imitierte und sich vor lauter Hitze übergeben musste. Also fuhren wir schleunigst nach Palermo und ans Meer.
Wenn man in Italien zum ersten Mal Auto fährt, sollte man das nicht unbedingt in Palermo tun. Jetzt, wo Daniela außer Gefecht gesetzt war, oblag es mir, Napoleon durch die Heimat Garibaldis zu lenken. Man schlängelt sich eher durch Palermo, als dass man hindurchfährt. Wir fuhren zu fünft nebeneinander auf etwas, das eine dreispurige Straße gewesen wäre, wenn sich nur jemand die Mühe gemacht hätte, Linien aufzumalen. Stoppschilder waren eine bloße Möglichkeit und rote Ampeln reine Geschmackssache so wie Milch im Kaffee. Die ebenso verblichenen wie vergessenen Zebrastreifen waren weniger eine Hilfe für Fußgänger, sondern eher für Krankenwagen gedacht, die dort Verletzte einsammelten. Ich schaffte es, Unfälle, aber nicht Zwischenfälle zu vermeiden. Schon bald wurde Daniela wieder schlecht.
Links von der Autobahn standen die trostlosen Mietskasernen von Palermos Außenbezirken, riesige Schandmale grauen Betons voller Wäscheleinen. Rechts davon lag das centro storico mit seiner eleganten, aber verfallenden arabisch-normannischen Architektur, in die der Zweite Weltkrieg hässliche Lücken gerissen hatte. Palermos urbane Verschandelung ist ein Werk der Cosa Nostra , der grausamen sizilianischen Mafia. Sie hat die Stadt in betrügerischer Absprache mit Verwaltungsbeamten aus reiner Profitgier unkontrolliert weiterwuchern lassen.
Die Cosa Nostra ist das organisierte Verbrechen schlechthin. Ihre Blutsbrüder, die allein zwischen 1983 und 1993 10 000 Tote auf dem Gewissen haben, sind berüchtigt dafür, ihre Gegner in Säure aufzulösen oder sie so zu fesseln, dass sie sich bei dem verzweifelten Versuch, sich zu befreien, selbst strangulieren. Incaprettamento oder »Ziegenstrangulieren« heißt diese sehr beliebte Mordmethode, denn wenn die Totenstarre einsetzt, befindet sich der Körper in einer Position, in der er sich problemlos in jedem Kofferraum transportieren lässt. Die unberührbaren, gut vernetzten »Ehrenmänner« der Cosa Nostra haben die völlige Kontrolle über Palermo, eine Stadt, deren Bürgermeister von Leuten gewählt werden, die schon lange tot sind oder am 31. Februar geboren wurden.
Der Mann, der den größten Erfolg im Kampf gegen die Mafia vorweisen konnte, war der Richter Giovanni Falcone. Und als wir Palermo verließen, nahmen wir jene Straße, auf der es ihm die Mafia heimzahlte. Als ich gerade anfing, mich hinter dem Steuer wieder etwas zu entspannen, beugte sich Daniela vor und erzählte mir wie nebenbei, dass in die Straße unter uns einmal ein sieben Meter tiefer Krater gesprengt worden war, mit Sprengstoff, den man in einem unterirdischen Abflussrohr versteckt hatte. Falcone, seine Frau Francesca und ihre drei Leibwächter, deren Auto in einen Olivenhain flog, wurden alle getötet. Angesichts der vielen blutgetränkten Sehenswürdigkeiten braucht man schon einen starken Magen und einen schwach ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, um Palermo wirklich genießen zu können.
Nachdem wir an der Autobahnausfahrt Punta Raisi vorbeigefahren waren, die zu jenem Flughafen führt, von dem aus Falcones vom Unglück verfolgter Autokorso aufgebrochen war, wählte Daniela die Handynummer ihrer Mutter. » Stiamo arrivando mamma .« Es dämmerte, der Himmel war scharlachrot, und die Temperatur war auf erfrischende 35 Grad gesunken. Dass sie vom Beifahrersitz aus Anweisungen geben konnte, hatte in Bezug auf Danielas Übelkeit wahre Wunder bewirkt. Die letzten paar Kilometer unserer Reise verbrachte sie damit, mich auf ihren Vater vorzubereiten, der mit 59 einer vorzeitigen Alzheimererkrankung anheimgefallen war.
Nachdem ich die letzten sechs Wochen in einem Haus verbracht hatte, das mit seinen Kunstwerken geschmückt war, kannte ich Franco in gewisser Weise bereits. Zumindest das, was ihn inspirierte: eine eigenwillige Landschaft, die Innenwelten eines Mannes, weibliche Schönheit und Familienfreuden. Franco war offensichtlich ein sehr vielschichtiger Charakter gewesen, bevor ihn die Krankheit dement gemacht hatte. »Bitte lächle, wenn du das schaffst«, sagte Daniela. »Wenn er
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