Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
Vom Netzwerk:
zurückkehren, Valeria würde Franco zurück nach Andrano schleifen, und Francesco, Antonio, Sergio und Luisa würden nach Mailand nachkommen. Dort würden sie den Winter verbringen und sehnsüchtig auf den nächsten Sommerurlaub warten, mit denselben Leuten am selben Ort – stessa spiaggia, stesso mare . Ich wusste nicht recht, ob mich ein dermaßen eintöniges Leben langweilen oder beruhigen würde. Ich wusste nur, dass ich den Hügel schon vermisste, bevor wir überhaupt losgefahren waren.
    So karnevalesk, wie man uns empfangen hatte, verabschiedete man uns auch wieder. Nur Nonna Lina war froh, dass wir fuhren. »Gäste sind wie Fisch«, lautete eine ihrer vielen Spruchweisheiten. »Nach einer Weile fangen sie an zu stinken.« Wir bekamen jede Menge Proviant mit auf den Weg und mehrere Flaschen von Zio Tonios Prosecco. Um alles zu verstauen, mussten wir das ganze Auto neu beladen und einige Klamotten zurücklassen. Ich warf Valeria meine burgunderrote Unterhose zu. »Würdest du sie netterweise für mich waschen?« Es tat gut, sie einmal absichtlich zum Lachen zu bringen.
    Daniela fiel es deutlich schwerer, ihre mamma zu verlassen, zumal sie sie zum ersten Mal mit papà allein ließ. Da ich der Grund für ihre Abreise war, fühlte ich mich ein wenig dafür verantwortlich und wusste Valerias fehlende Abneigung mir gegenüber sehr zu schätzen. Etwas, das laut Daniela gar nicht zu unterschätzen war. Da ich Valerias einzige Tochter entführte, hätte mich so manch andere italienische Mutter weitaus weniger herzlich aufgenommen.
    Nachdem wir uns durch die Menge geküsst hatten, versicherte ich Valeria, so gut ich konnte, wie bewundernswert ich ihren Umgang mit Franco fände. Und auch, dass sie in einer Situation, die eigentlich zum Weinen war, das Lachen nicht verlernt hätte. »Na ja«, sagte Valeria. »Ich bin eben eine Sizilianerin und keine Italienerin.« Sie sagte das wie selbstverständlich. »Wir sind eben ein anderer Menschenschlag.«
    Da sie von vielen beherrscht, aber nur von wenigen geliebt worden war – genau wie ihre durstige Heimatinsel -, konnte sich Valeria nur auf sich selbst verlassen. Stur und ohne sich jemals zu beklagen, wird sie ihren Mann bis zu seinem Tod aufopfernd pflegen.
    Ein Straßenköter schnupperte an dem mit Lasagne und Marzipan beladenen Napoleon, während wir den Kiesweg hinunterrollten, der zur Straße nach Mailand führte. Ein fröhliches Grüppchen von zwanzig Leuten winkte uns von der Lichtung auf dem Hügel aus zu. Und eine Sizilianerin hörte nicht auf, ihrem Mann eine zuverlässige Stütze zu sein.

9
     
    Ein Kilometer Wurst
     
    D ie Jahreszeit änderte sich über Nacht. Wir ließen den Sommerhimmel hinter uns und wurden im Herbstnebel wach. Die Stadt vor unserem Fenster war verschwunden, und als wir den Vorhang aufzogen, sahen wir nur einen weiteren Schleier, unter dem Mailand den ganzen Winter über schmollte. Der südliche Sommer war eine ferne Erinnerung und der nördliche Winter grausame Realität. Kein Wassermelonenverkäufer, kein morgendliches Bad im Meer, nur heulende Sirenen und lautes Hupen – ein technischer Lärm, der das hektische Leben unter dem Nebel verriet. Die Flitterwochen waren vorbei.
    Wenn man die Poebene verlässt und das an die Alpen geschmiegte Mailand erreicht, ist die winterliche Dunstglocke genauso deprimierend wie die Stadt, die sie einhüllt. Daniela, die schon mehrmals in Mailand gewesen war, meinte, der Nebelschleier täte der reizlosen Stadt im Grunde nur einen Gefallen. Wenn überhaupt, konnte man ihm nur vorwerfen, was alles zum Vorschein kam, sobald er verschwand. »Viele Dichter haben versucht, den Nebel romantisch zu verklären«, sagte sie, während sie sich für die Arbeit zurechtmachte. »Aber sie sind alle gescheitert.« Dann verschwand auch sie, zu Kindern, die sie nur mühsam davon überzeugen konnte, dass die Tage nicht nur sechs Stunden dauern und die Nächte achtzehn.
    Den ersten Eindruck, den ich von der Stadt unter der Nebeldecke bekam, verschaffte mir die Zeitung und ein Italienisch-Englisch-Wörterbuch. Die letzte Seite der überregionalen Tageszeitung Il Corriere della Sera ist den Lokalnachrichten gewidmet. Die eher sachliche Zusammenfassung der Ereignisse las sich in etwa so: Das Programm für heute – Arbeit. Das Wetter – Nebel. Sonnenaufgang und Sonnenuntergang – irrelevant. Die Luftverschmutzung – extrem. Die Verkehrslage – Stau. Die Verbrechensstatistik von gestern – 60 Einbrüche, 102 Autodiebstähle,

Weitere Kostenlose Bücher