Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
68 Handtaschendiebstähle … Wie sehr sehnte ich mich doch nach Andrano zurück, wo die Sonne scheint und gestohlene Handtaschen zurückgegeben werden!
Nach italienischen Maßstäben ist der Wetterbericht im Lokalteil ziemlich oberflächlich. Italiener legen großen Wert auf das Wetter und machen es für alles verantwortlich – von Zahnschmerzen bis hin zu ihrer Libido. Sie vertrauen nur hochqualifizierten Meteorologen. Im Fernsehen wird der Wetterbericht von einem Oberst der Luftwaffe in Uniform vorgelesen. Passend zur Eitelkeit der Italiener, trägt seine Wetterkarte eine Signatur. Die Fischer braucht das, was aussieht wie ein bedrohliches Tiefdruckgebiet zwischen Sizilien und Sardinien, nicht weiter zu beunruhigen, denn es ist nur das zackige Autogramm eines Computertechnikers. In Italien gibt es keine durchschnittlichen Menschen.
Im Herbst und im Winter brauchen die Milanesi allerdings keine detaillierte Wettervorhersage. Zum einen, weil sie sie schon kennen – Nebel -, und zum anderen, weil sie, selbst wenn ein Wunder geschähe und gutes Wetter angekündigt würde, sowieso ins Büro gingen. Ob sie ihre Designerstadt dabei sehen können oder nicht, ist irrelevant. Sie sind nur aus einem Grund hier – um zu arbeiten.
Mailand ist Italiens wohlhabendste Stadt. Auf meinen bisherigen Italienreisen hatte ich die geschäftige Industriemetropole wie die meisten Touristen links liegen gelassen und meine Zeit und mein Geld lieber in Rom, Florenz oder Venedig verbraucht. Reiseführer über die Stadt widmen Einkaufstipps mehr Seiten als den Sehenswürdigkeiten, sodass ich annahm, sie besitze nicht den Charme ihrer Schwesterstädte.
Wie Francesco, Antonio, Sergio, Luisa und Tausende von Süditalienern waren wir nur der Arbeit wegen nach Mailand gekommen und gewöhnten uns schnell an den einzigen Zeitvertreib in dieser Stadt. Daniela stellte sich der Herausforderung, an einer großstädtischen Grundschule zu unterrichten. Im Vergleich zu Andrano, wo die Schule schon mittags zu Ende war, arbeitete sie hier länger und unterrichtete Schüler aus verschiedenen Ländern, von denen viele noch weniger Italienisch sprachen als ich.
Ihr Arbeitstag gestaltete sich auch deshalb länger, weil ihre neue Schule, benannt nach dem Hauptverantwortlichen für Italiens größtes Blutbad an der österreichischen Front im Ersten Weltkrieg, Luigi Cadorna, eine Dreiviertelstunde mit dem Bus von Francescos Wohnung entfernt lag. Sie, die ihr ganzes Leben in einem Städtchen verbracht hatte, in dem die einzigen Staus von streunenden Hunden oder religiösen Prozessionen verursacht wurden, war die Hektik hier nicht gewohnt. Wenn sie gestresst war, musste ich mir wieder in Erinnerung rufen, dass sich ihr Leben beinahe genauso sehr verändert hatte wie meines.
Francescos Wohnung lag in einem Vorort von Mailand, genauer gesagt in einem schäbigen Außenbezirk. Aber er wohnte lieber weniger zentral und leistete sich dafür mit der gesparten Miete den Luxus eines zusätzlichen Zimmers, das er jetzt an seine Schwester und mich vermietete. Wenn Francesco abends aus seiner Agentur in der Stadtmitte zurückkam, arbeiteten wir gemeinsam an Werbekampagnen, die für Kunden in Übersee auf Englisch sein mussten. Das Texten fiel mir leicht, nicht aber die Verständigung mit Francesco. Mein Chef weigerte sich, langsam zu sprechen, und mein Italienisch musste dringend besser werden, und zwar subito!
Der Teilnehmer einer italienischen Quizshow ist bei einer Muliple-Choice-Frage zum Thema Marmor hängengeblieben. Er hat die Zahl der möglichen Antworten auf marmo bianco – weißer Marmor – und marmo nero – schwarzer Marmor – eingeschränkt, kann sich jedoch zwischen beiden nicht entscheiden. Um ihm einen Tipp zu geben, fragt ihn der Quizmaster, was besser klingt, und fordert den Kandidaten auf, beides auszusprechen. Er gehorcht und versucht den banalen Worten eine Art Melodie zu entlocken. » Marmo bianco, marmo nero. Marmo bianco, marmo nero .« Die Augen des Mannes beginnen zu funkeln. »Marmo bianco klingt besser«, sagt er schließlich selbstbewusst.
»Ist das Ihre endgültige Antwort?«, fragt der Quizmaster.
»Si.«
»Perfetto!«
In Italien gilt die Faustregel: Wenn etwas gut klingt, ist es auch gut. Die italienische Grammatik gehorcht komplexen Regeln, aber nur so lange, bis ein Satz unschön wird und man sie im Namen der Schönheit missachten darf. In meinem Italienischkurs in Sydney hatte Giacomo Fragen nach Grammatikregeln gern mit
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