Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
einer Antwort beiseite gewischt, die ich damals wenig befriedigend fand: »Weil es so besser klingt, und damit basta.« Jahre später weiß ich, dass es einfach keine bessere Erklärung dafür gibt.
Italienisch gilt weithin als die melodischste klassische Sprache.
Kaiser Karl V. hat einmal gesagt: »Wenn ich mit meinem Pferd spreche, spreche ich Deutsch, wenn ich mit Diplomaten spreche, spreche ich Französisch, wenn ich mit Gott spreche, spreche ich Spanisch, aber wenn ich mit Frauen spreche, spreche ich Italienisch.«
Wenn Sie einen Italiener verstören wollen, müssen Sie nur so hart sprechen wie die Deutschen oder die kalten, effizienten Schweizer. Für einen Italiener sind Rhythmus und Satzmelodie weitaus wichtiger als Effizienz und Präzision, ja vielleicht sogar wichtiger als die Wortbedeutung an sich. Italiener genießen es, ihre Sprache zu sprechen, und betrachten sie eher als Zeitvertreib und weniger als Mittel zum Zweck. In ihren Augen oder, besser gesagt, Mündern handelt es sich um ein lebendiges Wesen, ein Instrument, mit dem man Musik machen, und um einen Pinsel, mit dem man malen kann.
Die von Vokalen und Doppelkonsonanten energetisierten und harmonisierten italienischen Wörter massieren den Mund des Sprechers und kitzeln das Ohr seiner Zuhörer. Wer beispielsweise das Wort stuzzicadenti (Zahnstocher) ausspricht, tut mehr für seinen Mund, als wenn er tatsächlich einen benutzt. Während das Wort » taste buds « (Geschmacksknospen) auf Englisch reichlich fad klingt, scheint sie das italienische » papille gustative « fast schon zu befriedigen.
Italienische Sätze sind wie Symphonien, komponiert aus lautmalerischen Wörtern wie zanzara (Mücke). Es liegt eine Harmonie in so banalen Wörtern wie pipistrello (Fledermaus), schizzinoso (nervös), malavventurato (unglücklich) oder inoperosamente (faul). Sogar Ortsnamen wie Squinzano, Poggibonsi, Domodossola lassen sich lustvoll aussprechen. Dasselbe gilt für Eigennamen wie Baldo Bologna oder Marco Magnifico.
Ein englischer Bob Matthews hieße auf Italienisch Roberto di Matteo. Und Joe Green Giuseppe Verdi. Was gefällt Ihnen besser?
Solche Wortspielereien haben jedoch auch ihre negativen Seiten. Italienisch sprechen macht süchtig, und die meisten Italiener führen lieber Selbstgespräche, als gar nicht zu reden. Eine solche Wortfülle verhindert jedoch, dass sie sich klar ausdrücken – mit verheerenden Ergebnissen. Wer einen Deutschen nach der Bank fragt, bekommt entweder eine eindeutige Antwort oder ein »Das weiß ich nicht« zu hören. Wer einen Italiener fragt, bekommt in jedem Fall eine Wegbeschreibung, egal, ob der Gefragte Bescheid weiß oder nicht. Seine Zunge ist einfach zu hyperaktiv für eine so knappe Antwort wie »Das weiß ich nicht«.
Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass die Italiener das Zuhören genauso hassen, wie sie es lieben zu reden. Offizielle Verlautbarungen im Fernsehen dienen nicht dazu, dem Zuschauer zu sagen, dass er aufhören soll zu rauchen, die Umwelt zu verschmutzen oder betrunken Auto zu fahren. Stattdessen wird versucht, ihn am Reden zu hindern. »Chi ascolta cresce « ist der beliebteste Slogan – »Wer zuhört, lernt.« Errico, der Bankangestellte, erklärte mir, dass man in Italien schreien muss, um gehört zu werden – etwas, das mir meine Unterhaltungen mit Francesco bestätigten. Laut Italienisch reden ist eine Art Sozialdarwinismus, der Kampf ums Überleben im Gespräch. So gesehen, bedeutet Italienisch lernen auch zu lernen, den anderen zu unterbrechen, ihn zu ignorieren und niederzubrüllen.
Der Neuankömmling riskiert, dass die Begeisterung, die nötig ist, um Italienisch zu sprechen, seine Fähigkeit, sich normal in seiner Muttersprache zu unterhalten, schwer beeinträchtigt. Nach wenigen Monaten in Italien hatten sich meine, mit dem Italienischen verbundenen schlechten Angewohnheiten auch auf mein Englisch übertragen. Und so kam es, dass ich Freunde und Familienangehörige unfreiwillig verschreckte, die meine Leidenschaft für Aggression hielten. Man kann einen Italiener mitten im Satz unterbrechen, ihm mit der Faust drohen, ihn einen Idioten nennen und problemlos mit ihm befreundet sein – schließlich hat er einem weitaus Schlimmeres angetan. Tut man dasselbe in Australien, steht man bald alleine da.
Trotzdem verliebte ich mich in die italienische Sprache und begann so viel zu reden, dass ich beinahe einen Muskelkater in der Zunge bekam. Giacomo wusste, dass seine Sprache süchtig
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