Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
Fahrkarten für die metropolitana aus dem Haus. Zigeuner liefen durch die vollen Waggons und entlockten alten Akkordeons böhmische Klänge. Ein Kind ging hinterher und klapperte mit Kleingeld in einem Pappbecher. Bei jeder Haltestelle wechselten sie den Wagen, vergrößerten so ihre Zuhörerschaft und zogen die einzige Melodie, die sie konnten, so weit wie möglich in die Länge.
Sowohl über als auch unter der Erde hetzte ich von Termin zu Termin, bis mir die Stadt vertraut wurde. Nur einmal verfuhr ich mich und verpasste eine Besichtigung in der schwer auffindbaren Via Copernicus. Ich drehte den Sadtplan minutenlang in meinen Händen und begriff einfach nicht, ob ich um die Via Copernicus herumlief – oder sie nicht doch um mich.
Die Nachfrage nach Wohnungen ist dermaßen groß, dass die Eigentümer sie für den Besichtigungstermin weder putzen noch aufräumen. In einer Wohnung schwamm noch Müll in der Toilette, in einer anderen lagen Essensreste und Lappen in der Spüle. Für die Apartments in unserer Preisklasse war das Wort winzig noch untertrieben. Sie besaßen Flugzeugtoiletten und Bäder von der Größe eines Bidets. Die Milanesi wohnen in Zwergenhöhlen, und je kleiner sie sind, desto zentraler liegen sie. Viele kann man damit beheizen, dass man den Toaster anmacht. Michele, ein Freund von Francesco aus Palermo, wohnte in einer 18 Quadratmeter großen Einzimmerwohnung einschließlich Balkon, die kleiner war als eine Garage auf Sizilien. Aber für einen jungen Bauingenieur ist Mailand die Stadt, wo die Jobs sind, auch wenn man sich damit nur eine erbärmliche Existenz in einer noch erbärmlicheren Metropole leisten kann.
Nach einer Weile begriff ich, dass mit »Ausländer« Albaner, Afrikaner, Osteuropäer oder Schwarze gemeint waren, aber solch dezidierte Vorurteile passen nicht in die Felder der Annoncenformulare. Australier zu sein wirkte sich letztendlich doch nicht negativ aus – im Gegenteil. Viele Eigentümer erwärmten sich für die Idee, einen Mieter zu haben, der aus einem Land stammt, das sie bewundern. Dabei fiel ihnen gar nicht auf, dass es wohl kaum ein südlicheres Land gibt als Australien, außer man vermietet seine Wohnung an einen Pinguin. Absurd, dass ich den Vermietern attraktiver erschien als ihre Landsmännin Daniela.
Nach einer sechswöchigen Suche machten wir uns auf ein Weihnachten bei Francesco gefasst. Was schenkt man einem Liebhaber von Killerfischen zu Weihnachten? Eine Badehose? Dann war ich eines eiskalten Morgens, der trotzdem nicht nebelfrei war, der Erste, der ein chices und bezahlbares monolocale besichtigte, das einigermaßen zentral lag. Die Einzimmerwohnung lag in der Nähe des Mailänder Friedhofs, im gepflegtesten Viertel der Stadt, und war nur geringfügig größer als ein durchschnittliches Grab. Achtundzwanzig Quadratmeter für 600 Euro im Monat, und gleich beim Friedhof gab es einen Irish Pub. Meine Mutter hat schon immer gesagt, dass einen das Trinken ins Grab bringt. Die Wohnung war nicht perfekt, aber sie war in Ordnung. Die Suche war vorbei. Wir würden Weihnachten alleine feiern können.
Ich zahlte dem Makler die Kaution, bevor ich ihn in sein Büro begleitete. Als ich Daniela anrief, um ihr zu sagen, dass sie sofort herkommen müsse, hoffte ich nur, dass sie mir die algengrünen Wände vor lauter Erleichterung vergeben würde. Ehrlich gesagt erinnerten sie mich verdächtig an das Aquarium, dem wir genauso dringend entfliehen wollten wie die Eigentümerin ihren ungehobelten Mietern. Die junge Frau aus Padova, die pünktlich im Maklerbüro eintraf, um uns weiter auszufragen und den Mietvertrag abzuschließen, ließ keinen Zweifel daran, dass sie eine absolute Ausnahme mache, wenn sie Daniela die Wohnung vermietete. Wir hätten wahrscheinlich geschmeichelt sein sollen. Nachdem der Vertrag unterschrieben war, sah ich, wie der Makler die Zeile NIENTE STRANIERI durchstrich.
Bevor er uns in seine Bücher aufnahm, schlug uns der Makler völlig ungerührt einen Deal vor, wie jemand, der das Gesetz regelmäßig ignoriert. Wenn wir nicht darauf bestanden, Steuern auf die Maklergebühr zu zahlen, was sowohl uns als auch ihm zugute käme, würde er diese drastisch senken und unser Geschäft in ein Buch eintragen, das er ganz schnell verschwinden lassen konnte, wenn die Quittungspolizei die Treppe hochkam. Sollten wir dagegen darauf bestehen, die Steuer zu zahlen, würde die Maklergebühr teurer, und er würde unser Geschäft in die offiziellen Bücher eintragen.
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