Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
ein. Er meinte, wir lägen ohnehin auf dem Weg, wenn er seine Freundin Carla vom Flughafen abholte, die aus Palermo kam, um ihn nach New York zu begleiten. Es war ihre erste gemeinsame Reise nach Übersee – vorausgesetzt, ich schaffte es, ihnen ein Hotel zu besorgen. Aber angesichts des von Michele zu bewältigenden Parkplatzproblems glaubte ich mit der Hotelzimmersuche das deutlich bessere Los gezogen zu haben.
Als die beiden kamen, um uns abzuholen, stritten sich Carla und Michele über die Urlaubsbuchung. Michele behauptete, die Reiseverkehrskauffrau habe den Fehler gemacht. Als er die Flugtickets und die Hotelreservierungsbestätigung abholen wollte, hätte die Reiseverkehrskauffrau behauptet, er habe bei der Flugbuchung nicht dazu gesagt, dass er auch ein Hotelzimmer brauche. In seiner Wut war Michele so dumm gewesen, die Flugtickets zu bezahlen und zu sagen, dann würde er sich eben selbst ein Hotel buchen. Doch als seine Internetrecherche bis 24 Stunden vor dem Abflug erfolglos blieb, wurde Michele langsam gestresst und lud einen englischen Muttersprachler zum Abendessen ein. Leider hatte er nicht bedacht, dass das Wochenende auf einen amerikanischen Feiertag fiel und der Big Apple wie sein winziges Apartment aus allen Nähten platzte.
Das Damoklesschwert, das nun über der Reise schwebte, verschärfte eine ohnehin schon schwierige Situation: Carla hatte ihren Eltern nämlich erzählt, dass sie nur eine Woche nach Mailand fahren würde. Dass die Reise eigentlich nach New York ging, sollte erst anschließend oder am Abend ihrer Ankunft in Amerika gestanden werden, wenn ihre Eltern sie nicht mehr davon abhalten konnten. Wahrscheinlich erschien es ihr einfacher, um Vergebung als um Erlaubnis zu bitten. Aber als meine Anrufe bei diversen Hotels auch nichts ergaben, drohte sich Carlas Lüge zu bewahrheiten. Jetzt schien sie das Wochenende in der Tat in Mailand verbringen zu müssen. Zumindest Francesco machte eine derartige Bemerkung, die dazu führte, dass sich Carla und Michele erneut in die Haare bekamen, Daniela ihren unsensiblen Bruder verwarnte und die Spaghetti matschig wurden.
Zum ersten Mal seit ihrer Gründung artete die Sonntagabend- Spaghettata in Stress aus. Michele hätte keinen ungeeigneteren Zeitpunkt wählen können, um seinen japanischen Freund Hiroshi einzuladen. In der Schuhschachtel, die als Küche, Schlaf-, Ess- und Wohnzimmer herhalten musste, drängten wir uns mit Hiroshi zu zehnt. Eine ungeheure Anspannung lag in der Luft, und bei voll aufgedrehter Heizung wurde die Stimmung immer explosiver.
Alle waren beschäftigt oder besorgt oder beides. Ich telefonierte alle möglichen Hotels durch und schrie Fragen in den Raum, die ich selbst nicht beantworten konnte, wie die, ob es zur Not auch zwei Einzelzimmer tun würden.
» Assolutamente no «, warf Carla ein, deren Vater sicherlich anderer Meinung gewesen wäre. Antonio und Sergio saßen mit Adele auf dem Sofa und diskutierten darüber, wie man am schnellsten mit dem Auto von ihrem Büro zum Krankenhaus käme. Adele bestand nämlich darauf, noch zu arbeiten, obwohl ihr Bauch so aussah, als könne Asia noch während meiner Telefonate mit Amerika zur Welt kommen. Michele improvisierte eine carbonara , während er Reisebüros, überfürsorgliche Eltern und die Frau verfluchte, mit der er am nächsten Tag zu einem romantischen Kurzurlaub aufbrechen wollte. Francesco hörte mir aufmerksam zu und informierte Michele regelmäßig darüber, dass er zwar keine Ahnung habe, was ich sage, aber dass ich positiv klänge. Hiroshi saß stumm in der Ecke und muss sich vorgekommen sein wie in einem Irrenhaus. Währenddessen saßen Daniela, Luisa und Carla auf dem Bett und tauschten sich über ihre überfürsorglichen Väter aus.
Da es auch Daniela mit der Wahrheit nicht immer so genau genommen beziehungsweise einzelne Buchstaben der Länder, die sie bereisen wollte, weggelassen hatte, konnte sie Carlas Umgang mit ihren nervösen Eltern gut verstehen. Aber Daniela hatte statt Australien (Australia) nur deshalb Österreich (Austria) besucht, um den Seelenfrieden ihrer Tanten und Onkel nicht zu stören. Ihr Vater war schon damals sehr krank, als wir uns kennenlernten. Sie hätte es sonst eventuell nicht mal bis Österreich geschafft.
Als seine Tochter im Teenageralter war und abends im Minirock ausgehen und ihre gebräunten Beine zeigen wollte, pflegte Franco Daniela stets an ihre Sperrstunde zu erinnern, indem er sie fragte, was für ein Tag gerade war.
Weitere Kostenlose Bücher