Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
nervös. Den beunruhigte weniger die aktuelle Gesetzeslage als vielmehr das Missverständnis, dem jene erliegen konnten, die sie kontrollieren müssen. Wenn er sich jetzt falsch entschied, könnte seine Tochter unter Umständen jederzeit einen Brief erhalten, der sie zwänge, ihren Namen zu ändern und der ihr ganzes Leben durcheinanderbrächte. Francesco hatte neulich einen ganz ähnlichen Brief erhalten, in dem stand, er habe vor fünf Jahren zu wenig Steuern bezahlt. Entweder er beweise das Gegenteil, oder aber er zahle ein Bußgeld. Zusammen mit seinem avvocato verfasste er eine wirre Antwort, woraufhin er nichts mehr hörte – zumindest für die nächsten fünf Jahre.
Mich wunderte weniger das bizarre Gesetz als die Tatsache, dass es kein anderer meiner Tischgenossen bizarr zu finden schien. Sie waren allerhand Absurditäten gewohnt und hörten nur aufmerksam zu, bevor sie Antonio bestmöglich berieten. Jeder in der Runde machte einen Vorschlag. Francesco schlug vor, sie sollten das Kind doch einfach offiziell Anna nennen und ihm dann den Kosenamen Asia geben. Nach einigen halben Gläsern Wein meinte er, man könne sie offiziell genauso gut Beatrice nennen, solange Asia ihr Rufname sei. Antonio war skeptisch und meinte, dass alle, die seine Tochter nicht kennen würden, ihren offiziellen Namen verwenden und ihr so in der Schule und im späteren Leben Probleme machen würden. Daniela meinte, wenn überhaupt, bekäme ihr Bruder noch mal Probleme, und riet ihm, den Mund zu halten.
Michele schlug vor, Antonio solle sein Kind doch nach einer Nuss oder einem Vogel Asia nennen, und nicht nach dem Kontinent. Er wisse zwar nicht, ob es solch eine Nuss oder solch einen Vogel überhaupt gebe, aber die für das Geburtsregister zuständigen Leute auf dem Standesamt wüssten das bestimmt auch nicht. Dieser unüberlegte Vorschlag stempelte Michele zur dummen Nuss, und Daniela teilte erneut aus, obwohl sie an jenem Sonntag gar nicht die Gastgeberin war. Man kann über die italienische Regierung sagen, was man will, aber sie liefert auf jeden Fall ausgezeichneten Gesprächsstoff.
»Was, wenn du ihren Namen A-S-I-E schreibst?«, schlug Luisa vor, die das Vorhandensein eines solchen Gesetzes generell anzweifelte und meinte, sizilianische Freunde hätten ihre Tochter unlängst Ginevra – also Genf – genannt.
»Vielleicht haben sie den Namen mit J geschrieben«, sagte Sergio.
»Nein«, entgegnete Antonio, »jede Region ist anders. Wahrscheinlich kennt man dieses Gesetz dort bloß nicht.«
»Ich habe eine Idee«, sagte Luisa. »Fahr nach Hause und melde deine Tochter auf Sizilien an!«
»Aber wir sind in Mailand gemeldet«, protestierte Antonio.
Dabei dachte ich eigentlich immer, die Namenswahl sei mit die leichteste Übung beim Elternwerden.
Wenn man als Tourist durch Italien reist und sieht, wie ein Polizist vor einem Rauchverbotsschild raucht, wie illegale Einwanderer gestohlene Waren genauso problemlos feilbieten wie Eiscreme, wie Vespas wie Schmeißfliegen durch die Straßen schwirren, kann man sich kaum vorstellen, dass es hier auch Männer wie Antonio gibt: diszipliniert, gehorsam und bereit, so einiges auf sich zu nehmen, um ja nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Wie diese Touristen hatte auch ich vor meiner Bekanntschaft mit Antonio fälschlicherweise angenommen, dass Italien ein unrühmlich gesetzloses Land sei, in dem nicht nur Verkehrsregeln skrupellos missachtet werden.
Doch im Gegensatz zu diesem Klischee führen Italiener ein streng reglementiertes Leben – zumindest wenn es nach ihrer Verfassung geht, die zu den chaotischsten Verfassungen überhaupt gehört. In Italien gibt es unzählige sinnlose Gesetze. Sie bestimmen die Entfernung von einem Geschäft, innerhalb derer man die Kaufquittung aufheben muss oder den Abstand zwischen Sonnenschirmen am Strand. Und jetzt auch noch die Namenswahl bei Kindern. Es gibt die verrücktesten Regeln, die laut Barzini das gesamte Land zum Stillstand bringen könnten, wenn man sie plötzlich anwenden würde. Niemand wisse, wie viele davon noch gelten, und niemand wisse mit letzter Sicherheit, was einige davon wirklich bedeuteten. Oft helfe es nicht einmal, die Bücher zu konsultieren und nachzulesen, was der Gesetzgeber sagt, um ihre eigentliche Bedeutung zu begreifen.
Als Nächstes war ich an der Reihe, meine Meinung kundzutun. Ich schlug vor, dass Baby H-A-S-I-A mit H am Anfang zu nennen. Als mich alle nur verständnislos ansahen, schrieb ich das Wort
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