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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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dem Namen durchzustreichen, eine verbreitete italienische Schmeichelei, die den Empfänger als »extrem freundlich« bezeichnet. Ich hätte es angebrachter gefunden, » fortunatissima « zu schreiben, da das Adjektiv »extrem glücklich« wesentlich besser zu einem Menschen passt, der Post von den Poste Italiane bekommt.
    Mailand strapazierte unsere Nerven und unser Portemonnaie. Italiens teuerste Stadt kann die hohen Lebenshaltungskosten einfach nicht aufwiegen. Während die Mailänder sich energisch anrempeln, hektisch herumrennen und dabei die einfachen Freuden des Lebens völlig aus den Augen verlieren, ist ihre Stadt so erschöpft, schal und steril, als langweile sie sich ob ihrer eigenen Farblosigkeit. Ich war es auch leid, ständig dem Tod auf meinem Arbeitsweg von der Schippe zu springen, nach Parkplätzen zu suchen, die nicht existieren, den ganzen Tag in der Schlange zu stehen, nur um irgendwelche Rechnungen zu bezahlen. Ich war den bleigrauen Himmel leid, die nicht vorhandene Sonne und die Bettler an jeder Straßenecke: hungrig, frierend und verzweifelt und viel zu oft auch noch versehrt.
    Am Anfang brach mir Mailand das Herz, mit der Zeit zerstörte die Stadt es vollständig. Ein kleiner Junge in einem zerfetzten Jogginganzug stand vor meinem Wagenfenster und hielt mit seinem guten Arm Feuerzeuge hoch, während der andere, ein bloßer Stumpf, an seiner Seite herabhing. Er klopfte an mein Fenster, aber ich starrte geradeaus auf eine fast nackte Frau auf einer Plakatwand, die Fotos mit ihrem Handy machte. Noch vor wenigen Monaten hatte ich mein ganzes Wechselgeld verschenkt, ja, ganz am Anfang hatte ich sogar extra welches für jeden Bettler zurückgelegt, bevor ich das Haus verließ. Ich hatte unzählige Feuerzeuge gekauft, obwohl ich nur selten rauche, aber jetzt ignorierte ich die armselige kleine Gestalt im Regen. Beim Wegfahren blickte ich in den Rückspiegel und sah, wie das Kind zu dem müllübersäten Gehsteig zurückging. Ich schaute mich um, sah jedoch nichts, was mir irgendeinen Weg in die Zukunft gezeigt hätte. Ich war immun gegen sein Leid geworden. Und es wurde höchste Zeit, Mailand zu verlassen.
    Aber war Andrano eine realistische Alternative? Ohne englischsprachige Freunde wäre ich dort noch isolierter als in Mailand. Diese Isolation würde meinem Italienisch natürlich zugutekommen. Das war die Gelegenheit, den Norden gegen den Süden einzutauschen, die Stadt gegen das Meer, und in einem Teil Italiens zu leben, der genauso reizvoll wie abgelegen war. Daniela konnte sich um eine Versetzung an ihre frühere Schule bemühen, und da ich nicht mehr für Francesco arbeitete, konnte ich Englisch unterrichten, wo ich wollte. Aber doch nicht in Andrano, oder? Viele Einheimische sprachen nicht mal Italienisch.
    Durcheinander, wie ich war, machte ich den Fehler, meine Schüler zu fragen, was sie von der Idee hielten. Niemand von ihnen war je im Süden gewesen, was sie allerdings nicht davon abhielt, wüst über ihn herzuziehen. Es ist einfacher, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen, als sich ihm entgegenzustellen. »Du bist ja verrückt«, sagte Claudio vollkommen außer sich. »Mach das bloß nicht. Da unten gehst du vor die Hunde. Das ist nicht mehr Italien, das ist Süd italien. Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Länder.«
    Angelo wirkte regelrecht beleidigt, dass jemand, mit dem er befreundet war, überhaupt auf so eine Idee kam. Er machte ein Gesicht wie ein Kind, das Spinat essen soll, und sagte: »Ich glaube, du machst dir keinerlei Vorstellung davon, wie es da unten aussieht. Das sind völlig zurückgebliebene Analphabeten. Du wirst dort wahnsinnig. Keine Frau ist es wert, ihr in den Süden zu folgen.«
    Zu meiner Überraschung war Raffaele, der Fußball-Hooligan, der Diplomatischste. Er beugte sich vor, als ob das, was er mir zu sagen hatte, benotet würde, und flüsterte: »Pass auf dich auf, wenn du da runter ziehst, Crris. Acht von zehn Süditalienern sind leicht reizbar. Das hab ich in den Nachrichten gesehen.« Nur Raffele kann Rassismus so rührend aussehen lassen.
    Ihre Scheinheiligkeit führte bei mir nur zu einer Trotzreaktion. Ich mochte keine Klischees und auch keinen böswilligen Klatsch. Die beiden Monate, die ich im Süden verbracht hatte, waren herrlich und einzigartig gewesen. Aber damals war das Urlaub, Sonne, Strand, Sex und Spaghetti – wenn man Urlaub hat, kann es überall paradiesisch sein. Wenn ich mich dauerhaft in Andrano niederließ, wäre der Reiz des

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