Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
brauchte ein wenig Bewegung.
Was ich logisch fand, fand Daniela, die es sogar fertigbringt zu behaupten, sie komme, wenn sie in Wahrheit geht, unlogisch. Sie rief mich einmal zu Hause an und sagte: » Arrivo «, um dann mehr als eine Stunde später aufzutauchen. »Ich war schon auf dem Heimweg«, protestierte sie, als sie schließlich da war. »Ich musste nur noch ein paar Einkäufe erledigen und Annas Katze füttern.« Aber als ich erst einmal begriffen hatte, dass sie mich in wesentlichen Dingen niemals belog, fand ich es eher faszinierend statt frustrierend, mit einer Frau zusammenzuleben, die in der Lage ist zu sagen: »Ich hab’s nicht vergessen. Ich hab mich bloß nicht mehr daran erinnert.« Es handelte sich schließlich nicht um meinen Geburtstag, also was soll’s? Als es dann fast so weit war, kam sie mit einem Paket nach Hause, für das ich mich interessierte. »Geh weg«, sagte sie nervös. »Da ist nichts für dich drin, nur irgendetwas.«
Weitaus störender war ihre Sturheit. Da ich aus einem wenig traditionsbewussten Land komme, konnte ich mich nie daran gewöhnen, dass Daniela stets auf die Uhr sah, wenn ich vorschlug, etwas zu tun oder jemanden anzurufen. Als ich erst kurz in Italien und noch nicht selbst dazu in der Lage war, bat ich sie, Riccardo, den Polizeichef, anzurufen, der angeboten hatte, mir mit meinen Papieren zu helfen.
»Jetzt?«, entgegnete sie entsetzt. »Er isst bestimmt gerade. Ich werde später anrufen.«
Nach einer Stunde erinnerte ich sie daran, und wieder sah sie auf die Uhr.
»Jetzt? Er wird bestimmt schlafen. Ich ruf später an.«
So verging der Nachmittag.
»Wie wär’s jetzt, mein Schatz?«
»Das ist doch nicht dein Ernst? Es ist nach fünf. Er wird ausgegangen sein. Ich rufe heute Abend an.«
Doch manchmal profitierte ich auch davon, dass Italiener solche Gewohnheitstiere sind. Im Sommer hatte ich zwischen zwei und vier die ganze Adria für mich allein. Nur wenige Italiener wagen sich ins Wasser, bevor nicht mindestens zwei Stunden nach der letzten Mahlzeit vergangen sind. Für sie kommt das fast einem Selbstmord gleich – man könnte schließlich einen Krampf bekommen und sinken wie ein Stein. Die Leute standen sogar Schlange, um mich ertrinken zu sehen – Daniela hätte Eintrittskarten verkaufen können. Aber nur weil die Wellen nie über mir zusammenschlugen, hatten sie noch lange nicht vor, ihre Gewohnheit zu hinterfragen. Und dann warf Daniela ausgerechnet mir vor, ich sei stur!?
Andererseits machte der Kampf der Kulturen das Leben auch interessanter und führte höchstens zu kleinen, wenn auch regelmäßigen, nervigen Auseinandersetzungen. Unterm Strich war unsere Beziehung ebenso schön wie schwierig, und mein Unwille, nach Süditalien zu ziehen, hatte nichts damit zu tun, dass ich an meinen Gefühlen für Daniela zweifelte. Ich hatte eher Angst davor, dass sich das ändern könnte, wenn ich erst einmal von Daniela abhängig wäre. In Mailand war ich wenigstens in gewissem Sinne selbstständig. In Andrano wäre ich in erster Linie weitab vom Schuss.
Meine Zukunftspläne hatten sich nie darum gedreht, einmal in einem winzigen italienischen Kaff zu wohnen. Bevor ich Daniela kennenlernte, hatte ich eine bescheidene Karriere als Journalist begonnen und gehofft, mich bei einer Zeitschrift oder Zeitung weiter nach oben arbeiten zu können. Aber wie sagt Woody Allen so schön: »Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, brauchst du ihm nur von deinen Plänen zu erzählen.«
Über Francos Pläne lachte er bestimmt. Der Zustand von Danielas Vater verschlechterte sich, und ihre Mutter rief immer öfter an – nicht um ihre Tochter zu bitten, nach Hause zu kommen, sondern um zur Abwechslung mal eine andere Stimme als ihre eigene zu hören. Franco war verstummt. Alles, was er jetzt noch herausbrachte, waren ruckartig und unbeherrscht hervorgestoßene Sätze. Es brach der Familie das Herz, zusehen zu müssen, wie nichts mehr von ihrem Vater übrig blieb. Deshalb konnte ich Danielas Wunsch, ihren Vater zu pflegen, nur allzu gut nachvollziehen. Einen Vater, der sie mit auf die Welt gebracht, das Grübchen auf ihrem Kinn berührt und gesagt hatte:»Das muss das Gütesiegel der Engel sein.« Sie vergötterte ihn. Ich kannte ihn zwar nur aus den Geschichten anderer, liebte ihn aber trotzdem. Danielas Mutter brauchte sie. Sollte ich sie ziehen lassen oder mit ihr gehen?
Ich hatte immer noch keine Antwort auf diese Frage gefunden, als mir eine in Tränen aufgelöste
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