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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Harrison
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Straßenschilder verlässlich Auskunft geben sollen, wird man sich dort auch nie heimisch fühlen. Wer dagegen Lust hat, sich zu verlieren, landet irgendwann unweigerlich in diesem merkwürdigen Land.
    Im Vergleich zu anderen entwickelten Nationen sind die Italiener Nonkonformisten. Sie finden ihre köstlichen Gerichte wichtiger als Geld, Sex wichtiger als Aktienkurse und lassen lieber ihre Beziehungen spielen, damit das Konto am Ende ausgeglichen ist. Diese Prioritäten haben dem Sorgenkind Italien so etwas wie zärtliches Mitgefühl vom Rest der Welt eingetragen. Gleichzeitig ist es auf internationaler Ebene eine Witzfigur, über die man sich lustig macht wegen ihrer Unfähigkeit, Krieg zu führen, anstatt dass man sie für ihre Friedensliebe bewundert. Als das Land die Bedrohung durch das Jahr-2000-Problem – jenes Computerproblem zur Jahrtausendwende, das angeblich die ganze Welt lahmlegen sollte – komplett ignorierte, wurde es heftig kritisiert. Die neunmalklugen Länder, die ein Vermögen dafür ausgegeben haben, sich auf die eingebildete Krise vorzubereiten, haben niemals zugegeben, dass Italiens mangelndes Interesse vielleicht intuitiv richtig statt ignorant gewesen ist. Aber ein Land, das Regeln ignorieren und trotzdem zur fünftgrößten Industrienation aufsteigen kann, muss auch irgendetwas richtig machen.
    Italiener finden die Vollkommenheit weniger interessant als die Unvollkommenheit und stellen überschäumende Lebensfreude über Effizienz. Danielas Vorstellung von der Hölle ist das Paradies. Wie die meisten Italiener glaubt sie an die Ordnung hinter der Unordnung und an die Stille mitten im Chaos. Was sie an mir, dem Perfektionisten, fand, blieb mir ein Rätsel. Ich beschwerte mich oft über den Lärm vor der Wohnung, über heulende Motoren und quietschende Bremsen. Aber Daniela hörte nichts anderes als das Leben. Stille, versicherte sie mir, war die Begleitmusik des Todes.
    Das Leben in Italien stellt einen vor die Wahl: Entweder man toleriert »das Bittere«, um »das Süße« zu genießen, oder man kehrt in eine ordnungs- und effizienzverliebte Welt zurück, wo es weniger Tragödien, aber auch weniger Komödien gibt. Mir fiel diese Wahl schwer, denn Italien zog mich an und stieß mich gleichzeitig ab. Sein Reiz wurde von seinen Fehlern überschattet, doch gleichzeitig machten seine Fehler den Reiz aus. Wer Italien liebt, zählt zu seinen heftigsten Kritikern, und wer es hasst, zu seinen erbittertsten Verteidigern. Bill Bryson behauptete, italienverliebt zu sein – und war im Nu wieder weg, während sein amerikanischer Freund durchaus kritisch gegenüber einem Land eingestellt war, das er wahrscheinlich nie mehr verlassen würde. Und ich steckte irgendwo dazwischen. Meine Hassliebe zu Italien führte dazu, dass ich es kaum erwarten konnte, von dort weg- und wieder zurückzukommen.
    Nachdem ich mir eine ganze Nacht damit um die Ohren geschlagen hatte, zu überlegen, ob ich mit einer Frau leben wollte, ohne die ich anscheinend nicht leben konnte, schlief ich im Morgengrauen endlich ein, einen schwarzen Slip über dem Kopf. Das war der beste Ersatz für eine serranda , den ich in meinem Koffer finden konnte. Jetzt brauchte ich nur noch einen echt italienischen Kaffee und würde mich fast fühlen – wie zu Hause.
     
    Weil ich es kaum erwarten konnte, ihre Stimme zu hören, rief ich Daniela am nächsten Morgen sofort an.
    »Pronto.«
    Ich hatte ihre Mutter am Apparat.
    »Ciao Valeria. Sono Chris. C’è Daniela?«
    »Nein, sie ist mit Concetta an den Strand gegangen. Es ist ein schöner Tag. Kein scirocco .«
    »Verstehe. Ich ruf später noch mal an.«
    Aber Valeria war zum Schwatzen aufgelegt.
    »Wie ist dein Urlaub, Crris?«
    »Schrecklich. Alles hat sich verändert. Alle haben sich verändert.«
    Valeria lachte.
    »Du hast dich verändert. Komm zurück in unser belpaese . Du bist italienischer als meine Tochter. Oh, und bring was von diesem wiederablösbaren Klebstoff mit … wie heißt der noch gleich? … Ach ja, Blu-Tack. Daniela hat mir davon erzählt. Klingt nach einem fantastischen Zeug.«
    »Der Blu-Tack ist jetzt weiß, Valeria. Er wird keine Flecken an deine weißen Wände machen.«
    »Umso besser. Bring welchen mit.«
    Valeria hatte so eine Art, schwierige Entscheidungen ganz leicht aussehen zu lassen.
    Nach gerade mal vierundzwanzig Stunden in England flog ich noch am selben Nachmittag zurück nach Italien. James und Jenny hielten mich für verrückt – aber wer will sich schon

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