Siggi Baumeister 19 - Mond über der Eifel
nur zehn Minuten. Und ich soll dir sagen, er hat nach dir gefragt.«
Ich sagte nicht, dass ich das für eine Lüge hielt, ich sagte: »Ich komme euch besuchen, aber erst einmal muss ich noch einiges erledigen. Und ich habe einen neuen Gipsarm, und der ist feuerwehrrot.«
»Wie elegant!«, sagte sie mit viel Spott. »Wo steckst du eigentlich?«
»Beim Gregor in Schmidt. Wir klönen miteinander.«
»Was, bitte, ist denn das?«
»Wir reden miteinander, meine ich. Wie geht es dir denn?«
»Nicht so gut«, antwortete sie. »Meine Mutter ruft dreimal pro Stunde an, sogar mein Vater will mich wieder auf den rechten Weg bringen, und sie können überhaupt nicht verstehen, dass ich die Nase voll habe, und diesen ältlichen Typ auf keinen Fall heiraten will. Sie haben sogar Emma angerufen und ihr vorgeworfen, sie würde mich schlecht beeinflussen.«
»Dann musst du jetzt stark sein.« Ich dachte flüchtig, dass ich wahrscheinlich genauso lebensfremd daherschwafelte wie ihre Eltern.
»Ja, ja«, sagte sie. »Ich bin es nur nicht.« Sie heulte plötzlich wie ein Kind, und ich wurde wütend, weil sie im Grunde kein Problem hatte. Oder fast keines, oder jedenfalls kein großes, wie ich fand.
»Ich melde mich wieder«, sagte ich.
Es folgte ein Anruf bei Kischkewitz und die Frage, was denn Peter Baum bisher gesagt habe.
»Nichts«, gab er muffig Auskunft. »Das ist jetzt noch zu früh. Er ist ein Freiberufler, er schützt seine Kunden. Aber das wird noch. Ich sollte trotz aller Gegensätze erwähnen, dass du recht hast: Es war der einzige Zugang zu dem Fall, und irgendwann wird er reden.«
»Sie haben alle gelogen. Warst du bei Rodenstock?«
»War ich. Macht aber wenig Sinn. Du ziehst diese ganzen Plastiksachen über, bis du aussiehst wie ein Alien. Dann stehst du an seinem Bett und erkennst ihn nicht einmal. Ein Pfleger erklärt dir freundlich und ausführlich, was mit ihm los ist. Ein paar Sekunden später weißt du nicht mehr, was er gesagt hat. Es ist nur erschreckend, sonst nichts. Geh einfach nicht hin, tu dir das nicht an.«
»Habt ihr jemanden, der die Eltern von Jamie-Lee befragt?«
»Aber ja. Ein Fachmann, ein Psychologe. Wir haben ihn in Düsseldorf angefordert, wir haben ihn gekriegt. Jetzt ist er bei ihnen. Willst du etwa mit ihm reden?«
»Aber ja, später. Mit den Lügen um Jamie-Lee hat alles angefangen.«
»Und wer hat sie geschminkt?«
»Sie sich selbst, sie konnte das inzwischen, sie hat das richtig gelernt.«
»Aber das passt nicht zu den Aussagen der Kinder«, wandte er ein.
»Doch, das passt. Sie haben ja auch gelogen, und zwar alle. Ich nehme an, Jamie-Lee hatte einen neuen Auftritt am Morgen ihres Todes. Sie war Bargeld.«
»Und wie willst du das recherchieren?«
»Zusammen mit einem Kind«, sagte ich. »Ich habe ja keine Wahl.«
»Und dann Köln?«, fragte er.
»Und dann Köln«, sagte ich. »Es sei denn, ihr kassiert ihn sofort.«
»Das können wir gar nicht«, murmelte er. »Und es ist mehr als fraglich, ob er überhaupt angreifbar ist.«
»Ja, das ist richtig. Auf jeden Fall rufe ich dich rechtzeitig an.«
Es war jetzt 17 Uhr, der Tag war beinahe vergangen, und ich hatte den Lauf der Stunden nicht gespürt, die Ereignisse erschienen mir alle wie ein Augenblick, flüchtig wie ein Tropfen Wasser, der in eine Pfütze fällt.
Ich rief Rechtsanwalt Meier an und fragte ihn: »Wie geht es Ihrem Sohn?«
»Nicht sehr gut, ehrlich gesagt beschissen. Wir schicken ihn vorläufig nicht mehr in die Schule. Meine Frau hat einen Psychologen von der Schule angefordert. Der ist auch gekommen und sagt, man muss warten, das kann ein langer Klärungsprozess werden. Mark schweigt, verstehen Sie? Er schweigt einfach. Das hatten wir schon einmal. Er liegt auf seinem Bett und schweigt. Er wirkt auf mich, als würde er irgendwann explodieren, und ich bin völlig hilflos und kann es nicht aufhalten.«
»Die Kinder haben gelogen«, sagte ich. »Sie haben alle gelogen. Sie wollten die Jamie-Lee schützen, also haben sie das Blaue vom Himmel gelogen. Das ist wahrscheinlich Marks Schwierigkeit.«
»Sie wollen herkommen, nicht wahr?«
»Wollte ich, ja. Aber jetzt geht das nicht mehr, jetzt geht das nur noch, wenn Sie den Psychologen hinzuziehen. Zumindest muss man ihn fragen, ob ein Gespräch mit Mark überhaupt möglich ist.«
»Ich könnte ihn anrufen«, sagte er. »Ich rede mit meiner Frau und rufe Sie an, wenn wir entschieden haben.«
»Danke. Auf dem Handy, bitte, ich bin unterwegs.«
Dann ging ich
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