Siggi Baumeister 19 - Mond über der Eifel
euch später«, sagte ich tapfer. »Satanismus ist also der Glaube, dass der Mensch keinen lieben Gott braucht und …«
»Halt, halt, halt«, sagte sie mit Nachdruck. »Ich rede von Kirchen, Sekten und Gruppen, nicht vom lieben Gott. Aber im Prinzip hat du recht. Es gibt keltische Gottheiten, sogar erfundene Gottheiten, aber auch einen christlichen Gott. Nur: Sie können nicht bestimmen, wohin der Mensch geht. Der Mensch ist frei und selbst ein Gott.«
»Das ist mir um diese Tageszeit zu hoch«, erklärte ich.
Emma reagierte muffig: »Ich räume mal ab.« Sie stellte die Dinge, die abzuräumen waren, auf ein Tablett und verschwand damit.
»Es ist ein weites Feld, und manchmal musste ich mich damit beschäftigen«, sagte Rodenstock. »Meine Erfahrungen mit dieser Szene waren durchweg deprimierend, weil ich immer das Gefühl hatte, ganz schnell an Grenzen zu stoßen, jenseits derer ich nur noch glauben oder eben nicht glauben konnte. Ich erinnere mich an eine Frau, die eine wichtige Zeugin in einem Totschlagsfall war. Die behauptete ganz plötzlich, sie habe ihre eigenen Engeleltern kennengelernt. Also nicht die eigenen Eltern, sondern die Engeleltern, Engel im Himmel, die sie behüteten und beschützten, viel besser also als ihre normalen Eltern. Das sei ganz wunderbar, sagte sie immer verzückt. Und ihre Zeugenaussagen waren so wirr, dass wir darauf verzichteten, sie zu Protokoll zu nehmen. Und sie log das Blaue vom Himmel, weil sie behauptete, sie habe mit ihrer verstorbenen Schwester gesprochen, und die habe ihr gesagt, dass die Mordkommission keine Ahnung von den wirklichen Zusammenhängen hätte.« Dann fixierte er mich. »Und wie kommst du mit der wütenden Maria nun zurecht?«
»Ich denke, ich sollte mir keine großen Schuldgefühle aufladen. Ich denke, ich bin nicht der Alleinschuldige. Wenn sie meint, dass ich mich nicht genügend um sie kümmere, dann kann ich mit einem großen mea culpa auch nichts mehr retten. Vielleicht war sie nicht die Richtige, wenn du verstehst, was ich meine.«
Er nickte bedächtig. »Das verstehe ich, das kann sein. Aber deine Schweigsamkeit geht mir in der letzten Zeit unheimlich auf die Nerven. Ich denke, wir sind Freunde, aber du igelst dich, zweitausend Meter von uns entfernt, ein, als wärst du allein auf der Welt. Das war in anderen Jahren schon mal anders.«
»Ja, das ist wahr.«
»Woher kommt das? Bist du der große Menschenfeind geworden?«
»Nein, bin ich nicht. Ich weiß nicht, was es ist.«
»Unsicherheit?«
»Eher nein. Vielleicht bin ich allein klarer, vielleicht will ich keine engen Beziehungen mehr. Ich weiß es nicht.«
»Freundschaften sind keine Einbahnstraßen.«
»Ja, du hast natürlich recht. Ich will versuchen, mich zu bessern.«
»Oder du sagst, dass du zu uns keine enge Bindung mehr willst«, stellte er grob fest.
»Das ist es nicht, Rodenstock«, murmelte ich. »Wenn ich mein Leben anschaue, dann war das nicht erfreulich, weißt du. Zu viele Abstürze, zu viele Verluste. Ich finde wenig, auf das ich stolz sein könnte.«
»Das ist Unsinn, du bist ein guter Journalist.«
»Das ist nichts als eine freundliche Übertreibung.«
»Hast du Panikzustände? Oder Angstanfälle?«
»Hattest du welche?«
»Oh ja, als meine erste Frau starb. Jahrelang.«
»Angst und Panik nein, aber ich versinke zuweilen ins Grübeln, und ich merke, dass das gefährlich ist. Ich hocke am Teich und starre auf das Wasser, aber ich sehe nichts, ich starre nur einfach. Und ich weiß nicht einmal, was ich fühle.«
»Du kannst hierher kommen und bei uns starren«, lächelte er.
»Ich weiß, ich werde kommen. Und jetzt will ich heim, die Nacht kommt, und ich bin wirklich müde. Grüße Emma, und Danke für das Essen.«
»Ja«, sagt er und nickte bekümmert.
Es war 22 Uhr, und das Licht schwand langsam, als ich aus Heyroth nach Hause rollte. Satchmo wartete im Hof auf mich und beklagte sich laut. Er ist der einzige Kater, der sich dauernd lautstark mit mir unterhält. Zuweilen glaube ich zu verstehen, was er sagen will, aber wenn ich ehrlich sein soll, habe ich meistens keine Ahnung, was er sagt, und kann den Grund seiner Geschwätzigkeit nur raten. Bei bestimmten Heultönen ist aber glasklar, dass er etwas zu fressen haben will.
Ich ging nach oben und räumte Marias Schrank aus. Es waren nicht viele Dinge, ein paar Kleider, ein paar Pullover, ein paar Gürtel, zwei Paar Schuhe, ein wenig Unterwäsche. Ich verstaute das alles in einer kleinen Umzugskiste und stellte
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