Siggi Baumeister 19 - Mond über der Eifel
esse einen Vanillepudding. Und ich denke, ich sehe nicht richtig: Kommt unten an meinen Füßen eine Wühlmaus auf das Oberbett und sieht mich an. Sie war groß wie eine Ratte. Ich denke, die hat meinen Pudding gerochen, und ich denke, sie ist bestimmt hungrig. Und ich nehme eine Fingerspitze voll Pudding und halte sie ihr hin. Und sie kommt und leckt den Pudding ab. Dann habe ich ein bisschen von dem Pudding auf einen kleinen Teller getan und ihr den hingestellt. Und so haben wir zwei im Bett Vanillepudding gegessen. Wo kannst du so was noch erleben?« Er strahlte.
»Bei dir, Harry, bei dir. Deswegen bin ich ja hier.«
»Du bist so blöde perfektionistisch.«
»Ja, Harry.«
»Lass das sein!«
»Ja, Harry.«
Dann sprachen wir über andere Dinge, die unwichtig waren, und latschten dabei durch den Morast über sein Land, und ich sah seine dunklen Gummistiefel neben mir gehen, Schritt für Schritt.
Ich hörte ihn sagen: »Weißt du, hier ist jede Arbeit schwer und dreckig.« Und links neben uns streifte seine Katze durch die Büsche. Sie hatte nur noch drei Beine, aber sie war immer noch schneller als seine Gummistiefel, und sie ließ Harry keine Sekunde aus den Augen und hatte für mich nur die Arroganz der Regierenden. Was will dieser blöde Mensch von meinem Kumpel Harry?
Als ich dann nach einer halben Stunde wegfuhr und ganz locker war, weil Harry ein paar Dinge sagte, die ganz einfach und ganz richtig sind, stieg unweigerlich ein Tagtraum in mir hoch, den ich seit meiner Jugend hege und pflege. Und Harry war der Mensch, der diesen Tagtraum antrieb.
Ich fahre durch eine Landschaft, die von dichten, wilden Hecken bestimmt ist. Schwarzdorn und Schlehen, Krüppeleichen, Pfeifenweiden, Birken, Ginster, fünfzig Meter tief, zweihundert Meter lang, voll Leben. Irgendjemand hält mein Auto an und sagt, ich soll aussteigen, Ende der Tour. Er gibt mir ein winziges Zelt, immerhin wasserdicht und mit einem Boden versehen. Dann setzt er sich in mein Auto und ist verschwunden. Und ich weiß genau, was ich zu tun habe.
Ich schneide an der dichtesten Stelle der Hecke einen schmalen Tunnel, ich schneide eine Zickzack-Linie in das Undurchdringliche, nur gebückt auf allen Vieren zu bekriechen, von außen unmöglich einzusehen. Dann stelle ich das winzige Zelt auf, und da es Tarnfarben hat, ist es auch nicht zu entdecken. Dann beginne ich, dort zu überleben, auszukundschaften, was wichtig ist, was nicht, was essbar, was nicht. Und eigentlich kann mich die ganze Welt am Arsche lecken, was sie hoffentlich nicht tun muss.
Nach der ersten Nacht, in der ich sogar ein paar Stunden schlafe, ist es lausig kalt, und ich schneide oben ins Dach des Zeltes ein kleines Loch. Dann suche ich mir trockenes Reisig und Aste zusammen und finde an einer seit hundert Jahren baufälligen Bauernscheune den Deckel einer alten, großen Blechdose. In dem Deckel mache ich mir ein Feuerchen, das mich nicht sonderlich wärmt und das mir das Zelt zuqualmt, sodass ich keine Luft kriege und erschreckt herauskrieche.
Irgendwann meldet sich Hunger. Ich weiß, dass tausend Kräuter wachsen, die der Mensch essen kann. Aber im Wesentlichen präsentiert mir die nächste Wiese nur Sauerampfer, Klee und Rauke, die wir Zivilisationsmüden seit Jahrzehnten als köstlichen Ruccola beim Italiener bestellen.
Ich kauere also im Zelt und habe das Grünzeug auf einem Haufen vor mir hegen. Ich beginne systematisch ein Blatt Sauerampfer, ein Stielchen Klee und ein Stielchen Rauke zusammenzudrehen und mir in den Mund zu schieben. Es schmeckt nicht sonderlich gut und ausgewogen schon gar nicht, eigentlich hat es gar keinen ausgeprägten Geschmack. Ich müsste Essig und Öl haben.
Dann einige ich mich mit mir selbst, verlasse mein Einmannzelt und hole mir Essig und Öl von zu Hause, und fülle meine Geldbörse, weil man ja nie weiß, was kommt, wenn man in einer Hecke lebt.
Da wird klar, was aus einem Tagtraum werden kann, wenn man völlig von seinen zivilisatorischen Genüssen abhängig ist.
Aber wahrscheinlich hatten Robinson und sein Freitag immer schon die Möglichkeit, den nächsten Italiener anzulaufen, nur haben sie das einfach nicht erwähnt.
Mein Traum vom wilden Überleben in der Hecke endet jedenfalls immer so, dass das Zelt größer und größer wird, Teppiche hat, dann einen Kanonenofen, der unglaublich gut funktioniert, dann eine Art abgetrenntes Badezimmer, in dem aus einem Wasserhahn 38 Grad warmes Wasser herausläuft, wobei ich gar nicht weiß, wie
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